Chodorkowskis später Triumph

URTEIL Auch wenn der ehemalige Yukos-Chefs keinen Dollar erhalten wird: Die Richter bestätigen, dass es bei der Affäre darum ging, ihn politisch kaltzustellen

■ 2. Juli 2003: Platon Lebedew, größter Anteilseigner von Yukos, Russlands größtem Öl- und Gaskonzern, wird verhaftet. Er soll Aktien gestohlen haben.

■ 25. Oktober: Festnahme des Yukos-Chefs Michail Chodorkowski in Sibirien. Vorwurf: Betrug und Steuerhinterziehung.

■ 3. September 2004: Russlands Steuerbehörden fordern 4,1 Milliarden US-Dollar von Yukos – und das binnen einem Tag.

■ 26. September: Banken, bei denen Yukos Konten hat, müssen Transaktionen für das Unternehmen stoppen.

■ 19. Dezember: Teile von Yukos werden an die völlig unbekannte BaikalFinansGroup verkauft, die zwei Tage später an die staatliche Firma Rosneft geht.

■ 31. Mai 2005: Chodorkowski und Lebedew werden schuldig gesprochen: 9 Jahre Arbeitslager.

■ 5. Juli 2006: Die Yukos-Geschäftsführung legt Rettungsplan vor und will einige Gläubigerforderungen über den Verkauf von Vermögenswerten bezahlen.

■ 1. August: Yukos wird offiziell für zahlungsunfähig erklärt. Ein Insolvenzverfahren wird eingeleitet, ein Konkursverwalter bestellt.

■ 13. August 2007: Der Oberste Gerichtshof der Schweiz weist einen russischen Antrag auf juristische Unterstützung im Yukos-Fall zurück – und verweist auf seine Überzeugung, dass die Verfahren gegen Chodorkowski und Lebedew politisch motiviert sind.

■ 29. April 2009: Yukos Capital gewinnt ein Verfahren am Amsterdamer Berufungsgericht; 390 Millionen Dollar Kredite müssen nicht zurückgezahlt werden.

■ 20. August 2009: Nach Jahren des Verhandelns gibt Russland bekannt, den bereits unterschriebenen Energiechartavertrag nicht ratifizieren zu wollen. Trotzdem gilt der Vertrag in den Jahren zuvor. Er schützt vor Enteignungen.

■ Dezember 2012: Chodorkowski und Lebedew werden zum zweiten Mal verurteilt.

■ 20. Dezember 2013: Wladimir Putin lässt Michail Chodorkowski frei, Platon Lebedew folgt im Januar. (rr, ia)

VON INGO ARZT

BERLIN taz | Michael Chodorkowski war gerade im sibirischen Nowosibirsk gelandet, als eine Spezialeinheit des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB am 25. Oktober 2003 seinen Privatjet stürmte. Sie nahm den Chef und Hauptaktionär von Yukos, einem der größten Ölkonzerne der Welt, mit gezückten Waffen fest. Vorwurf: Betrug und Steuerhinterziehung. Die 3.709 Tage bis zu seiner Begnadigung am 20. Dezember 2013 verbrachte der einst reichste Mann Russland wie ein Schwerverbrecher: in Zellen eingesperrt, in sibirischen Straflagern schuftend, in vergitterten Käfigen vor Gericht vorgeführt wie ein wildes Tier.

Am gestrigen Montag erlebte Chodorkowski einen späten Triumph. Seine persönliche Wiedergutmachung im Kampf gegen den Mann, den er immer beschuldigte, die Verfahren gegen ihn mit dem Ziel zu steuern, ihn politisch, finanziell und persönlich zu vernichten: Wladimir Putin. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme galt der Yukos-Chef als einer der größten politischen Konkurrenten des starken Manns von Moskau. Massiv unterstützte er oppositionelle Parteien – und soll gar Ambitionen auf das Präsidentenamt gehabt haben.

Gestern nun verurteilte der Ständige Internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag die Russische Föderation zu einer Entschädigung von historischem Ausmaß: 50 Milliarden US-Dollar soll Moskau an die Finanzholding GML und damit an die Exaktionäre von Yukos zahlen, dem einst größten Konzern Russland, bevor er im November 2007 zerschlagen wurde. Staatseigene Konzerne kauften die Trümmer auf – und machten Öl und Gas zur politischen Waffe des Kreml.

Der Ex-Yukos-Chef wird von der Entscheidung in Den Haag nach eigenen Angaben nicht profitieren: Chodorkowski hat seine Yukos-Anteile vor Jahren an andere überschrieben, in der Hoffnung, damit die Verfahren gegen ihn zum Guten wenden zu können. Für ihn ist der Schiedsspruch ein moralischer Triumph, denn das Gericht hat seine Version der Yukos-Geschichte fast komplett bestätigt.

Besonders die zweite Verurteilung von Chodorkowski und Exanteilseigner Platon Lebedew zeigt für die Richter, dass sich „russische Gerichte dem Willen der Exekutive beugten, um Yukos in den Bankrott zu treiben, die Werte an einen staatlich kontrollierten Konzern zu übertragen und einen Mann einzukerkern, der ein politischer Konkurrent hätte werden können“.

Doch der Fall ist nicht nur einer zwischen der Russischen Föderation und Yukos. Er zeigt auch exemplarisch die Macht internationaler Schiedsgerichte, vor denen private Unternehmen Staaten verklagen können. Eine solche Gerichtsbarkeit, die nationales Recht umgeht, ist auch Teil diverser derzeit diskutierter Freihandelsabkommen wie Ceta oder TTIP. Kritiker fürchten, dass Firmen Staaten auch dann auf Schadenersatz verklagen könnten, wenn sie sich wegen Umweltauflagen gegängelt fühlen.

Im Fall Yukos trifft das Urteil das System Putin. Möglich ist das, weil Russland bis 2009 an den Energiechartavertrag gebunden war. Der schützt unter anderem Investoren vor willkürlichen Enteignungen durch andere Staaten. Kommt es zum Streit, können Schiedsgerichte wie das in Den Haag angerufen werden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln.

Eine Berufung wäre lediglich dann möglich, wenn ein niederländisches Gericht grobe Fehler im Verfahren anerkennen würde. Das aber ist kaum zu erwarten: Von den drei Richtern hatte einen der Kläger, die Finanzholding GML, benannt, die die Ex-Yukos-Anteilseigner vertritt; einen weiteren bestellte Moskau, den dritten das Gericht selbst. Vorsitzender war Yves Fortier, ein kanadischer Jurist, der auch schon Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates war.

„Russische Gerichte beugten sich dem Willen der Exekutive, um Yukos in den Bankrott zu treiben“

AUS DEM URTEIL

Russland schickte eine Armada an US-Anwälten in das Verfahren, lud mit zwölf Zeugen sogar mehr als der Kläger. Allerdings, so heißt es in dem fast 600-seitigen Abschlussbericht, verzichtete Moskau ausgerechnet in der entscheidenden Frage fast komplett auf Zeugen: in der, ob die Anklage der Steuerhinterziehung gerechtfertigt war.Tatsächlich nutzte Yukos großzügig russische Steuersparmodelle – wie alle Rohstoffkonzerne damals. Eine Anwältin des Klägers zieht das Fazit: „Das war ein extrem harter Kampf. Russland hat jedes Argument vorgetragen, das ihnen eingefallen ist. Sie haben schlicht und einfach verloren.“

Für Putin kommt die Entscheidung zu einen ungünstigen Zeitpunkt: Die russische Wirtschaft wächst kaum noch, der Internationale Währungsfonds prognostiziert 0,2 Prozent in diesem Jahr – Folgen der Ukrainekrise, die Investoren abschreckt.

Eine Zahlungsverweigerung hätte fatale Folgen: Fast alle Staaten sind aufgrund der sogenannten New-York-Vereinbarung verpflichtet, Urteile internationaler Schiedsgerichte umzusetzen, sprich: so lange Eigentum des russischen Staates zu beschlagnahmen, bis die Schulden beglichen sind. Ausgenommen sind nur Werte wie Botschaftsgebäude, die zur Erfüllung hoheitlicher Aufgabe erforderlich sind.

Teilstaatliche Öl- und Gasgiganten wie Gazprom oder Rosneft dagegen könnten Beschlagnahmungen jederzeit treffen – zumal wenn sie sich wie Rosneft Teile von Yukos zu viel zu niedrigen Preisen einverleibt haben. GML könnte versuchen, beim Landgericht Berlin die Enteignung der deutschen Gazprom-Zentrale einzuklagen. Sollte das Gericht feststellen, dass es sich dabei um Staatseigentum handelt, müssten deutsche Behörden das Gebäude beschlagnahmen. Mitten in der größten politischen Krise mit Russland seit Ende des Kalten Krieges.