Superman muss weg

COMICMARKT Eine Gruppe von US-amerikanischen Comicschaffenden setzt sich gegen die Verwertungsmaschinerie der Großkonzerne zur Wehr. Sie versucht, die Dominanz der Superheldencomics aufzubrechen, die kreativen Kleinproduzenten die Luft nehmen

„Wenn in der Musikszene ähnliche Zustände herrschten, dann gäbe es nur Discomusik“

Comiczeichner Eric Powell

Seit Anfang des Jahres machen in den USA namhafte Autoren auf das kreative Potenzial des Mediums Comic aufmerksam. Aus der Ferne betrachtet mutet es seltsam an, dass jemand wie Eric Powell, Schöpfer der erfolgreichen Serie „The Goon“, es für nötig hält, dem Publikum zu erklären, dass Comic mehr sein kann als die Wiederholung altbekannter Superheldenabenteuer. Schließlich produziert soeben kein Geringerer als der Regisseur David Fincher („Seven“, „The Social Network“) die Filmadaption von Powells „Goon“. Den Erfolgreichen ärgert aber, dass dem Medium Comic so hartnäckig das Image anhaftet, stets dieselben pubertären Allmachtsfantasien zu verbreiten.

Powell veröffentlichte im Januar im Internet ein Video, in dem er der US-amerikanischen Comic-Industrie vorwarf, zu sehr auf bewährte Superhelden-Stoffe zu setzen. Zusammen mit anderen Comickünstlern wie Robert Kirkman („The Walking Dead“) rührt er die Werbetrommel für „creator-owned comics“, bei denen die Künstler die Rechte an ihren selbst erschaffenen Figuren und Geschichten behalten. Die derzeitige Marktsituation sieht so aus, dass Zeichner und Szenaristen vor allem von Auftragsarbeiten für die Superheldenserien der zwei Großverlage DC und Marvel leben müssen. Diese Arbeiten sind „company owned“, der Künstler gibt seine kreative Leistung völlig aus seinen Händen.

Totale Dominanz

DC hält unter anderem die Rechte an Superman und Batman, seit 1969 ist es eine Tochtergesellschaft von Warner Bros. Entertainment. Marvel hält die Rechte an Figuren wie Spiderman oder den X-Men und gehört seit 2009 zur Walt Disney Company. Welche Ausmaße ihre Marktdominanz annimmt, offenbart ein Blick auf die Verkaufszahlen des Jahres 2010. Auf der Internetseite www.previewsworld.com kann man nachlesen, dass der Marktanteil von Marvel 38 % des Gesamtumsatzes beträgt, dahinter folgt DC mit 30 %. Bei den verkauften Einheiten führt Marvel mit 43 % vor DC mit 34 %, dahinter folgt Dark Horse Comics mit 5 % beziehungsweise knappen 4 %. Unter den 500 meistverkauften Comicheften befinden sich nur sieben, die nicht Marvel oder DC veröffentlichten. Keiner davon ist creator owned.

In seinem äußerst galligen Video sagte Eric Powell: „Wenn in der Musikszene ähnliche Zustände herrschten, dann würde es nur Discomusik geben und Jack White müsste Abba covern, um seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.“ Auf Facebook schreibt er: „Wir müssen daran arbeiten, dass originelle Werke von kreativen Comic-Schaffenden ebenso wichtig für das Überleben der Comic-Industrie werden wie die Superheldenhefte von Marvel und DC. Ich glaube, dass diese Industrie Vielseitigkeit braucht. Die Gesellschaften hinter Marvel und DC könnten aus vielen Gründen aufhören, Comics zu produzieren, und die Einnahmen durch die Superheldenrechte in profitablere Projekte investieren.“ Es geht Powell also um die Abhängigkeit der gesamten Branche von den Entscheidungen zweier Großkonzerne.

Da die Superheldenverlage den Markt so dominieren, nehmen US-Händler kaum andere Comics in ihr Programm auf. Anders als in Deutschland ist es für sie ein Risiko, unbekannte Comics anzubieten, da sie diese oft nicht remittieren und damit auf der Ware sitzenbleiben können. Bei ihren persönlichen Projekten sind Künstler also von Eigenwerbung und Mundpropaganda abhängig. Deshalb ergriff Powell die Initiative und gründete den Blog creator-owned.blogspot. com.

Der Umsatz der erfolgreichsten Creator-owned-Comics „The Walking Dead“ und „John Laymans Chew“ geht über das hinaus, was der Markt für sie bereitzuhalten scheint. Mit den Superhelden-Aufgüssen können sie sich finanziell dennoch nicht messen. Marvel und DC unterhalten zwar die Autorencomic-Unterlabels Icon und Vertigo, die im Unternehmensganzen aber eine Nischenexistenz führen. Dabei haben gerade diese beiden Werke bewiesen, welche Breitenwirkung Comicserien mit neuen Stoffen entfalten können. Nachdem die Fernsehadaption der Zombieserie „The Walking Dead“ dem Sender AMC Quotenrekorde beschert hatte, produziert er nun auch die Serie zu „Chew“, worin es um einen visionären Geschmackssinn geht. Robert Kirkman und John Layman verlegten ihre Serie unter einem hohen finanziellen Risiko selbst, etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig. Noch nicht. WALDEMAR KESLER