Ägypten lässt Prediger Abu Omar frei

Der Islamist war vor vier Jahren von der CIA in Mailand entführt worden und saß seither in seiner Heimat im Gefängnis. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Doch was wussten die italienischen Behörden von der Aktion?

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Fast genau vier Jahre nach seiner Entführung in Italien ist der ägyptische Islamist Abu Omar seit Sonntagabend in Kairo wieder auf freiem Fuß. Am 17. Februar 2003 war der Imam von einem CIA-Greifkommando in Mailand auf offener Straße verschleppt und dann nach Ägypten ausgeflogen worden. Dort saß er mit einer kurzen Unterbrechung in Haft und wurde offenkundig auch gefoltert.

Die Umstände der Entführung sind heute dank der intensiven Ermittlungen der beiden Mailänder Staatsanwälte weitgehend geklärt. Ein gutes Dutzend CIA-Agenten, aber auch ein italienischer Carabinieri-Beamter befanden sich am Tatort. Abu Omar, der sich auf dem Weg zu seiner Moschee befand, wurde in einen Transporter gezerrt und auf eine US-Airbase geschafft. Von dort ging es mit einem der geheimen CIA-Flüge über Ramstein nach Kairo.

Bei ihrem Einsatz waren die CIA-Agenten sehr sorglos vorgegangen. Die Polizei konnte jedenfalls anhand der Verbindungsprotokolle ihrer Handys umfassende Bewegungsprofile erstellen und das Hotel der Geheimdienstler ausfindig machen. Am Ende erhob die Staatsanwaltschaft Mailand gegen 26 US-Bürger Anklage wegen der Entführungsaktion. Zurzeit läuft in Italien die Voranhörung, in der über die Eröffnung der Hauptverhandlung entschieden wird.

Was dann in Ägypten aus Abu Omar wurde, wissen die italienischen Ermittler auch recht genau. Der Prediger wurde nämlich im Frühjahr 2004 von den ägyptischen Behörden auf freien Fuß gesetzt, unter der Auflage, über seine Haft Stillschweigen zu bewahren. Seiner in Italien gebliebenen Frau gegenüber aber hielt er sich nicht an das Schweigegebot. Am Telefon erzählte er ihr, dass er mehrfach Opfer schwerer Folterungen geworden sei. Wohl wegen dieser in Italien wie in Ägypten abgehörten Gespräche kam er umgehend wieder in Isolationshaft. Angesichts der unerträglichen Haftbedingungen und der Folter unternahm Abu Omar drei Selbstmordversuche, wie sein Anwalt mitteilte.

Sehr gerne würden ihn jetzt die Mailänder Staatsanwälte anhören. Ob er aber nach Italien zurückkehrt, ist vorerst offen. Selbst wenn die ägyptischen Behörden eine Ausreise erlauben sollten, hat Abu Omar Gründe, zu Hause zu bleiben, denn in Mailand ist er nicht nur Opfer, sondern auch Tatverdächtiger: In einem Verfahren um die Anwerbung von Freiwilligen für den Dschihad im Irak wurde im Jahr 2005 ein Haftbefehl mit der Anschuldigung „internationaler Terrorismus“ gegen ihn erlassen.

Wenig Interesses an einer Aussage Abu Omars haben gewiss die italienischen Angeklagten in dem anstehenden Prozess um seine Entführung. Der frühere Chef des Geheimdienstes Sismi, Nicolò Pollari, und sein damaliger Vize Marco Mancini gelten der Mailänder Staatsanwaltschaft zumindest als Mitwisser, die den US-Einsatz gedeckt haben sollen. Zu ihrer Rolle kann Abu Omar kaum etwas sagen – eine Zeugenaussage, die die ganze Dramatik des Vorfalles plastisch werden lässt, käme Pollari aber kaum gelegen.

Auch Italiens Regierung ist wahrscheinlich nicht besonders scharf auf den Ägypter. Zwar hat Ministerpräsident Romano Prodi mit dem Fall direkt nichts zu tun; die Entführung ereignete sich noch zur Regierungszeit Silvio Berlusconis. Doch Exgeheimdienstchef Pollari hat in der Voranhörung geltend gemacht, er könne sich nicht gebührend verteidigen, da wichtige Akten dem Staatsgeheimnis unterlägen. Prodi hatte das immer bestritten: Da die Regierung – auch die Berlusconis – nie etwas von der Abu-Omar-Entführung erfahren habe, könne sie auch keine Aktensperre verhängt haben.

Ausgerechnet vergangene Woche aber erklärte Prodi in einem Interview mit einer indischen Zeitung das genaue Gegenteil: „Meine Regierung ist gegen jedwede Entführung, aber der Fall Abu Omar unterliegt dem Staatsgeheimnis, laut Gesetz können diese Papiere nicht öffentlich zugänglich gemacht werden, und meine Regierung hat dies bekräftigt.“ Der Erklärungsdruck auch auf Prodi dürfte mit der Rückkehr Abu Omars in Freiheit erheblich wachsen.