Ein Hoch auf die Überschreitung

John Waters gibt John Waters: Im Dokumentarfilm „This Filthy World“ (Panorama) macht sich der Comedian und Trash-Filmer selbst zur Legende

VON HARALD FRICKE

Todschick sieht er aus in seinem mausgrau karierten Anzug vor dem goldenen Lamé-Vorhang im International-Kino. „You make me feel like Celine Dion“, sagt John Waters in gespielt divenhafter Begeisterung und hat das Publikum gleich auf seiner Seite. Denselben Satz wird man zwei Minuten später noch einmal hören, es ist die Begrüßungsformel, mit der der beschlagene Entertainer in Jeff Garlins Dokumentarfilm „This Filthy World“ seinen Auftritt einleitet.

Aber ist der 86-Minuten-Monolog überhaupt eine Dokumentation? Als was soll man diese Mischung aus Standup-Comedy, biografischem Abriss und Lecture verbuchen? Und wer zum Teufel ist Jeff Garlin? Keine Frage, Waters hat sich das ziemlich clever ausgedacht. Mittlerweile über 60 Jahre alt und als Underground-Regisseur längst im MoMA angekommen, greift er mit „This Filthy World“ der demnächst anstehenden Historisierung als Bad-Taste-Ikone vor. Warum sich von anderen zur Legende machen lassen, wenn man die eigene Lebensgeschichte auch selbst in Szene setzen kann? Also hat Waters sich Garlin, der bislang eher in B-Movie-Nebenrollen zu sehen war, als ausführenden Regisseur geschnappt und sich vom Drehbuch bis zum Vertrieb um alles andere gekümmert. Ohnehin braucht „This Filthy World“ nur eine Person: Waters doing Waters – in einem schredderigen Fernsehstudio, vor einem quietschenden College-Publikum. Das Timing stimmt, die Witze kommen punktgenau – wer sonst kann sich so ungeheuer nonchalant über die Versteigerung der Habseligkeiten von Jackie Kennedy lustig machen? Geschickt nutzt Waters das Setting der Late-Night-Shows, schert aber schnell aus der bemühten Feel-Good-Plauderei aus.

„This Filthy World“ will zwar auch unterhaltsam sein, jedoch immer mit einer diebischen Freude am Skandal. Dafür steht wiederum Waters’ eigene Biografie, als unendliche Geschichte von Tabuverletzungen, die letztlich dazu geführt haben, dass sozial und vor allem sexuell abweichendes Verhalten in den USA inzwischen zum Alltag gehören. Ein Hoch auf die Transgression! Ohne Waters-Filme wie „Pink Flamingoes“ oder „Polyester“ gäbe es keine medial heiß gehandelten Schlüpfrigkeiten à la Paris Hilton und auch keinen Eminem-Trailer-Park-Pop. Aber wenn Waters davon spricht, klingt es doch schwär- zer, böser, mehr nach Camp. Waters weiß sehr wohl, dass er für die USA ein Sendbote der Befreiung war. Dennoch ist er völlig uneitel, wenn er im Film erzählt, wie alles anfing: wie seine Crew aus drogenfressenden Hippies zusammen mit der Transe Divine kleine, explizite Trashfilme drehte und wie aus diesem Outsiderteam eine Family wurde – immer auf der Flucht vor der Polizei. Und gerade weil er immer besonders ehrgeizig war, wenn es darum ging, wieder eine Grenze zu verschieben, macht sich Waters nun Sorgen, weil er so viel erreicht hat. Wo soll er noch hin mit seinen Fantasien, wenn sich heute Touristen am Set seines neuen Films neben überdimensionalen Schwänzen und künstlichen Vaginas fotografieren lassen? Natürlich hat er dann noch ein paar Beispiele parat. Aber die sind wirklich ziemlich filthy.

„This Filthy World“, R.: Jeff Garlin, USA 2006, 86 Min.; 15. 2., 22.30 Uhr Cinestar; 17. 2., 15.30 Uhr Colosseum