Abschied von den feinen Ladies

In Paul Schraders „The Walker“ (Wettbewerb, außer Konkurrenz) gerät ein Hobby-Galan ins Intrigennetz der Washingtoner Senatorenlobby

Es gibt die Formulierung, jemand könne vor Kraft nicht gehen. Mit Macht verhält es sich ähnlich. Sie ist eine Last, unter der die US-Senatoren sich in Paul Schraders Film „The Walker“ dahinschleppen, von einem Meeting zum nächsten und lustlos mit der Gattin in die Oper. Meistens wollen diese Männer der hohen Politik nur ihre Ruhe haben. Bierchen trinken, Baseball gucken. Weil das gesellschaftliche Leben in Washington DC jedoch zum Regierungsbetrieb gehört, ist das die Stunde von Carter Page III (Woody Harrelson): Er führt die Ladies der Elite aus, spielt mit ihnen Bridge oder begleitet sie in eine Mozart-Aufführung. Er tut dies ohne Hintergedanken, weil er in der vorgetäuschten Rolle des Galans seine homosexuelle Identität wahren kann. Geld fällt trotzdem ab, in Form von sozialem Kapital: Der Society-Klatsch ist für Carter ein exzellenter Seismograf für seine Immobiliengeschäfte.

Für Lynn Lockner (Kristin Scott Thomas) verdingt sich Carter sogar als Fahrer, damit sie heimlich ihren Geliebten treffen kann. Bis der Aktienhändler eines Tages abgestochen in seinem Haus liegt. Wieder springt Carter ein, regelt die Formalitäten mit der Polizei, weil sonst die Öffentlichkeit Wind von Lynns Affäre bekommen könnte – was wiederum für ihren Ehemann (Willem Dafoe) das Ende seiner politischen Karriere bedeuten würde. Schon hat sich das Netz zugezogen, gilt Carter als Hauptverdächtiger in dem Mordfall und findet sich im Maschenwerk der Intrigen nicht mehr zurecht. Plötzlich steht der sonst so souverän seine Loyalität ausspielende Opportunist ohne Lobby da.

Dass Schrader gerne seziert, wie der Einzelne abstürzt, weiß man seit seinem Drehbuch für „Taxi Driver“. Mit entsprechend präzisen Bildern nimmt er sich auch Carter vor: Immer wieder saugt sich die Kamera in Großaufnahmen an Harrelsons Gesicht fest, versucht dessen Enttäuschung und Orientierungslosigkeit sichtbar zu machen, als sich die feinen Damen von ihm abwenden. Gleichwohl ist der alerte Emporkömmling stets beherrscht, verbieten es ihm Stolz und Tradition – sein Vater saß im Watergate-Ausschuss –, irgendein Gefühl angesichts der Schmähungen zu zeigen. Als Spiegel dieser Undurchdringlichkeit gleitet der Film an wunderbar ornamentierten Oberflächen entlang, kreiselt über kostbare Stofftapeten und delektiert sich an einem erlesenen Set aus Seidenkrawatten. Die Großzügigkeit des Dekors lässt die Räume eng werden, zu Schutzzonen aus Luxus, in denen Harrelson meisterlich zu Hause ist: Völlig reglos kann er am Bridge-Tisch überzeugend antichambrieren und wenig später im schummerigen Licht einer Schwulenbar aussehen wie ein hochgetunter Schnurrbartklon.

Doch diese ungeheure Kontenance hat mitunter auch Nachteile. Weil in „The Walker“ alle Welt auf der Hut ist, läuft der Film leicht Gefahr, vor lauter Kalkül den Spannungsbogen zu verlieren. Niemand will die Maske fallen lassen, niemand möchte sich entblößen. Diese Steifheit wird von Schrader über weite Strecken zwingend inszeniert, wie in einem Psychodrama von Robert Altman. Manchmal sehnt man sich dennoch nach dem reinigenden Knall, der diese konservative Blase platzen lassen könnte. Oder wie es Lauren Bacall als grand old dame des Films einmal formuliert: Es gibt immer einen Faden, an dem man ziehen kann, so dass die Welt auseinanderfällt. Aber stattdessen nimmt sie trotzdem lieber einen Wodka-Tonic. HARALD FRICKE

„The Walker“. Regie: Paul Schrader. USA/GB 2007, 107 Min., heute, 15 und 21 Uhr, Urania