Die Libanesen haben Angst vor neuen Attentaten

In Libanons Hauptstadt herrscht angespannte Stimmung nach Mord am antisyrischen Minister Gemayel. Hunderttausende bei Beerdigung erwartet

BEIRUT taz ■ Auf dem Sassine-Platz in Ostbeirut hat der 1982 ermordete Baschir Gemayel gestern Gesellschaft bekommen. Nur Stunden nach dem Attentat auf seinen Neffen Pierre brachten Anhänger der katholisch-maronitischen Falangisten ein riesiges Plakat des am helllichten Tage mit Kopfschüssen getöteten Industrieministers an. Von einer unverputzten Hauswand hängt nun das Bild des 34-Jährigen herab – dem vorerst letzten Opfer in einer Serie politischer Attentate, die mit dem gescheiterten Anschlag auf den Telekommunikationsminister Marwan Hamdeh im Oktober 2004 begann.

Plakate von Baschir Gemayel, der die rechtsgerichteten Falangisten-Milizen während des Bürgerkrieges (1975–1990) anführte, zieren schon seit Wochen die Bäume und Laternen rund um den zentralen Platz im christlich dominierten Beiruter Stadtteil Aschrafieh. Vis-à-vis zum Bild seines Neffen thront ein Transparent über der Straße, das Baschir gemeinsam mit Samir Geagea zeigt, ebenfalls Exmilizenführer und einer der Führungsfiguren der antisyrischen „14. März“-Bewegung, der auch der Industrieminister angehörte. „Syrien ist verantwortlich für den Mord“, glaubt denn auch George, der gemeinsam mit seinem Studienkollegen Charles auf einem Mäuerchen in der Mitte des Platzes sitzt. „Damaskus will nicht, dass der Libanon unabhängig wird.“

Ein Verdacht, den schon unmittelbar nach dem fünften Mord an Führungsfiguren des „14. März“ Saad Hariri äußerte, der Sprecher der antisyrischen Parlamentsmehrheit und Sohn des im Februar vergangenen Jahres ermordeten langjährigen Expremierministers Rafik Hariri. „Die Hisbollah und Michel Aoun werden dafür sorgen, dass die Attentate weitergehen“, sagt George, der an der libanesischen Universität studiert. Für den 19-Jährigen ebenso wie für viele andere antisyrische Christen des Landes ist Aoun ein rotes Tuch – nicht erst, seit der Exoberbefehlshaber der Armee im Februar einen Pakt mit dem Generalsekretär der schiitischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, schloss. Er spalte die seit Ende des Bürgerkrieges geschwächten Christen, lautet der Vorwurf, nur um sich bei den Präsidentenwahlen im kommenden Herbst eine gute Ausgangsposition zu sichern.

Die ganze Nacht auf Mittwoch über blieb die Lage rund um den Sassin-Platz angespannt. Auch am Tag nach dem Attentat stehen Polizisten und Soldaten überall an den Straßen. Besonders deutliche Präsenz zeigen die Sicherheitskräfte an der ehemaligen „Green Line“ zwischen Ost- und Westbeirut, der umkämpften Front zwischen den rivalisierenden Milizen während des Bürgerkrieges. Kurz hinter einem der Armeeposten hängen die Reste eines von Gemayel- und Geagea-Anhängern abgebrannten Aoun-Transparents über der Straße. Bis auf einige kleinere Rangeleien konnte die Polizei Ausschreitungen verhindern. Doch wie schon während der „Zedern-Revolution“ nach dem Mord an Hariri im Frühjahr vergangenen Jahres griffen die Protestierenden syrische Gastarbeiter an. Scheiben einiger der unübersehbaren gelben Chevrolet-Taxis, die zwischen Beirut und Damaskus verkehren, wurden zerschlagen.

Bis in den Morgen hinein haben George und Charles mit Gleichgesinnten am Sassin-Platz ausgeharrt, um des getöteten Gemayel zu gedenken. Bei der Beerdigung am Donnerstag, zu der Hunderttausende erwartet werden, wollen sie auch dabei sein. Die Hisbollah ebenso wie der antisyrische Premierminister Fuad Siniora und sein prosyrischer Gegenspieler, Präsident Emile Lahoud, haben das gespaltene Land zur Einheit aufgerufen. Neue Gewalt fürchten auch die beiden jungen Studenten nicht. Zumindest nicht bei dem für morgen geplanten Massenaufmarsch. MARKUS BICKEL