Vergiftung wegen Behördenversagen

GIFTMÜLL Jetzt bestätigt unabhängiges Gutachten: Mangelhafte Kontrollen machten Verseuchung hunderter Arbeiter der Dortmunder Giftfirma Envio mit der Chemikalie PCB überhaupt erst möglich

DORTMUND taz | Behördenversagen ist der Grund für die Verseuchung hunderter Arbeiter und Anwohner der Dortmunder Entsorgungsfirma Envio mit erbgutschädigenden, potenziell krebserregenden Polychlorierten Biphenylen (PCB). Das ist das Fazit eines von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Auftrag gegebenen, bisher unveröffentlichten Gutachtens des unabhängigen Prognos-Instituts.

Die Expertise, die der taz vorliegt, bemängelt massive „Defizite der Anlagenüberwachung“: So seien „unangekündigte Kontrollen“ nur unzureichend durchgeführt worden. Die PCB-Verseuchung des Dortmunder Hafens sei „nur zufällig“ durch ein „in der Nähe der Anlage durchgeführtes Messprogramm“ entdeckt worden. Das lasse befürchten, dass noch heute „ähnliche Fälle nicht verhindert“ werden könnten.

Dabei gehören die Chlorverbindungen zu den zwölf gefährlichsten Giftstoffen überhaupt und sind seit 2001 verboten. Bei Envio aber öffneten Arbeiter ohne Schutzkleidung hochgradig PCB-belastete Transformatoren –– und atmeten giftige Stäube ein.

Envio-Geschäftsführer Dirk Neupert ließ verseuchte Transformatoren sogar aus der Untertage-Giftmülldeponie Herfa-Neurode nach Dortmund schaffen – Neupert hatte in den Elektrobauteilen enthaltene Edelmetalle als Geldquelle entdeckt. Zwar gilt Herfa-Neurode als größtes Giftgrab der Welt, doch die zuständige Bezirksregierung in Arnsberg schaute weg: Trotz mehrerer anonymer Anzeigen glaubten die Beamten den Versicherungen Neuperts, Untertage-Transformatoren würden nicht verarbeitet.

Dabei hätte die Behörde es besser wissen müssen. Sie selbst sammelte Frachtpapiere – sogenannte Begleitscheine –, aus denen hervorgeht, dass tausende Tonnen Transformatoren nach Dortmund geliefert wurden. „Unverständlich“ sei, dass „zu keinem Zeitpunkt die abrufbaren Begleitscheininformationen genutzt worden sind“, kritisieren die Prognos-Gutachter. Bestätigt werden so Recherchen der taz, die anonyme Anzeigen zusammen mit 482 Seiten Genehmigungen und 440 Seiten aus der Verfahrensakte der Arnsberger Bezirksregierung schon vergangenen November veröffentlicht hatte. Für die Arnsberger Beamten ist das schmerzhaft – mittlerweile interessiert sich auch das ihnen vorgesetzte NRW-Umweltministerium für ihre bei taz.de einsehbaren Unterlagen: „Derzeit wird geprüft“, heißt es in einer Vorlage aus Düsseldorf, „ob der fachaufsichtliche Bericht aufgrund zusätzlicher Erkenntnisse, die sich aus der Veröffentlichung durch taz-online von Akten der Bezirksregierung Arnsberg ergeben, nochmals geändert werden muss“.

ANDREAS WYPUTTA