Vorerst letzte Chance für den Eurotunnel

Mit einem Entschuldungsplan soll der Tunnel finanziell gerettet werden. Der Plan würde vor allem die vielen Kleinaktionäre treffen. Wenn die Gläubiger heute ihre Zustimmung verweigern, steht das Unternehmen vor der Pleite

PARIS taz ■ Heute entscheidet sich die Zukunft von Eurotunnel. In Paris treffen Vertreter der Gläubigerbanken zusammen, um über einen Entschuldungsplan für Eurotunnel zu verhandeln, die den Tunnel unter dem Ärmelkanal betreibt. Auf dem Spiel stehen mehr als der Hälfte der derzeit 9,1 Milliarden Euro Schulden. Entweder akzeptieren die Gläubiger eine drastische Umschuldung des Unternehmens. Oder sie lassen Eurotunnel unweigerlich auf den Konkurs zusteuern. Die wahren Geprellten sind dabei schon jetzt die 660.000 Kleinaktionäre von Eurotunnel. Ihr Traum vom Riesengeschäft ist ausgeträumt.

Zwölf Jahre nach der Einweihung des Tunnel unter dem Ärmelkanal ist Eurotunnel de facto zahlungsunfähig. Anfang August wurde der britisch-französischen Gesellschaft bereits Gläubigerschutz gewährt. Das erlaubte der Direktion zusammen mit den gerichtlich ernannten Verwaltern einen Umschuldungsplan auszuarbeiten, der die drohende Pleite verhindern soll.

Wird der Plan heute angenommen, dann wird zunächst eine Auffanggesellschaft mit dem Namen „Eurotunnel Group“ gegründet. Die soll sich von einem Bankenkonsortium 4,16 Milliarden Euro leihen. Mit dem Geld werden zunächst die sogenannten Senior-Schulden abgelöst, also die Banken mit den ältesten Forderungen bedient. Jüngere Schulden dagegen werden mit ein bisschen Cash und vor allem mit Papier bezahlt: mit neuen Obligationen, die später in Aktien umgewandelt werden dürfen. So soll die historisch gewachsene Schuldenlast auf die Hälfte reduziert werden.

Der finanzielle Rettungsversuch würde die Zusammensetzung der Aktionärsstruktur völlig verändern. Die 660.000 Kleinaktionäre, die zusammengenommen über eine Stimmenmehrheit verfügen, werden am Ende gerade noch über 13 Prozent der Anteile verfügen.

Der Traum vom Börsenreichtum platzte für die „Volkskapitalisten“ bereits kurz nach der Eröffnung des Eurotunnels. Es stellte sich heraus, dass die Gesellschaft nicht mal in der Lage war, die Zinsen für die horrenden Schulden zu bezahlen, die sich nach dem Bau des Tunnels aufgetürmt hatten.

Der Grund für den Schuldenberg: Die Briten wollten, wie von der damaligen Premierministerin Margret Thatcher überliefert ist, „not one Penny“ dazuzahlen. Staatliche Beihilfen wurden deshalb im 1986 unterzeichneten französisch-britischen Vertrag von Canterbury ausgeschlossen. Der Bau der drei parallelen, 50 Kilometer langen Bahntunnels und die Beschaffung der Spezialzüge für den Transport von Lastwagen und Privatautos sollte ursprünglich 4,6 Milliarden Euro kosten. Das erwies sich als Fehlkalkulation. Am Ende kostete der Tunnel mit 15,4 Milliarden Euro mehr als das Dreifache. Lediglich ein Drittel der Schulden konnte mit dem Börsengang von Eurotunnel zurückgezahlt werden. Seitdem verhindern die Schulden, dass das Unternehmen wirtschaftlich arbeiten kann, obwohl der Betrieb als solcher rentabel sein soll. Rudolf Balmer