Die böse Krise der guten Senait-Show

Senait Mehari ist mit dem Vorwurf konfrontiert, ihr Bestseller „Feuerherz“ basiere auf Lügen. Die Frage ist: Wer will hier die Geschichte Eritreas verfälschen?
VON PETER UNFRIED

Die Bestsellerautorin Senait Mehari will sich Anfang kommender Woche zu den Vorwürfen eritreischer Landsleute äußern, ihre Autobiografie „Feuerherz“ basiere auf Lügen. „Wir wollen nicht nur sagen, das stimmt nicht, sondern seriös argumentieren“, sagte ihr Manager Jobst-Henning Neermann der taz. Bis dahin äußert sich Mehari nicht.

Ihre Autobiografie „Feuerherz“ war ein ungeheurer Erfolg (über 400.000 verkaufte Exemplare) und hat ihr ein neue ökonomische, berufliche und gesellschaftliche Position verschafft. Mehari, 32, ist nicht mehr nur nur Popsängerin. Sie gilt vielen als engagierte und glaubwürdige Botschafterin im Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Als solche reist sie um die Welt und sitzt nicht nur in Talkshows, sondern auch mal bei der Kanzlerin.

Nun geht es im Kern um die Frage, ob Grundsätzliches nicht stimmt, was Senait Mehari über ihre Jahre in einem Lager der Rebellenarmee ELF im eritreischen Befreiungs- und Bürgerkrieg Anfang der 80er erzählt. Es geht nicht nur um einen„Definitionsstreit“, wie ihr Manager das nannte. Nämlich: War sie Kindersoldatin oder nicht, wie Zeugen behaupten, die das NDR-Medienmagazin „Zapp“ zu Wort kommen ließ – und wie sie selbst jetzt anscheinend auch mit dem Satz „Ich war keine Kindersoldatin“ eingestanden hat? „Das ist kein Geständnis“, sagt ihr Manager Neermann. Es sei aus dem Zusammenhang gerissen. Jener bestehe darin, dass Mehari gerade eine gemeinsamen Auftritt mit der ugandischen Kindersoldatin China Keitetsi hinter sich hatte, die im Gegensatz zu ihr getötet habe und mit der sie sich nicht auf eine Stufe stellen wolle. Sie habe nie behauptet, an vorderster Front getötet zu haben.

Kinderkriegseinsätze in Eritrea, sagen Experten, zählten sicher nicht zu den schlimmsten Formen von Kindersoldatentum. Nach den „Cape-Town Principles“ von 1997 gilt aber der Begriff auch für Boten, Späher und jüngere Kinder, die erst auf den Dienst an der Waffe vorbereitet werden, sagt Andreas Rister, Sprecher der Deutschen Koordination Kindersoldaten. Die Hilfswerke Terre des hommes, Aktion Weißes Friedensband und Kindernothilfe haben sich hinter Mehari gestellt. Was sie beschreibe, „fällt eindeutig unter Kindersoldaten“, sagte Rister der taz. Allerdings könne er nicht beurteilen, „ob einzelne Dinge stimmen oder nicht.“

Als die ELF in verzweifelter Lage das letzte Aufgebot in den Kampf schickte, erzählt Mehari im Buch, seien sie und ihre beiden Schwestern bei der Einheit „Che Guevara“ militärisch ausgebildet worden. Da sie aber „selbst für damalige Verhältnisse noch zu jung für eine Soldatin“ gewesen sei, hätten nur die Schwestern an der Front gekämpft. Sie sei „nur sehr selten eingesetzt“ worden und „fast immer“ im Lager geblieben.

Die Eritreer aus dem „Zapp“-Beitrag behaupten, das Lager sei gar kein Militärcamp gewesen, sondern eine Schule. Weder Lehrer noch Schüler hätten Waffen gehabt, allenfalls die Wachen. Schon gar nicht seien Kindersoldaten ausgebildet worden.

Die einen sagen, diese Eritreer wollten ihre eigene Geschichte richtigstellen, die Mehari verfälscht habe. Die anderen sagen, sie wollten die wahre Geschichte verfälschen, nämlich dass auch in Eritrea mit Kindersoldaten gekämpft wurde. „Kindersoldaten sind heute kein Kavaliersdelikt mehr“, sagt Rister, da in Den Haag der erste Angeklagte, der ehemalige kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga, wegen Einsatzes von Kindersoldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof steht.

Meharis Verlag Droemer-Knaur sagt, man habe den Ghostwriter Lukas Lessing sowohl für „Feuerherz“ als auch für das Nachfolgebuch an Orte der Handlung reisen lassen. Der Lektor habe den „zeitgeschichtlichen Hintergrund“ nachgeprüft. Ja, man sei dort gewesen, sagte Lessing der taz, nicht an allen Orten, aber an vielen. Habe Gespräche geführt, allerdings mit niemand, „der mit Senait im Schützengraben lag“.

Er selbst hat auch nie mit den naheliegenden Zeugen gesprochen, die Meharis Geschichte untermauern könnten – ihren Schwestern. Die sollen in Deutschland leben und sind bisher nie in Erscheinung getreten. Solle sie „doch mal die Schwestern als Zeugen präsentieren“, sagt „Zapp“-Chef Kuno Haberbusch. Und warum melden sich die Eritreer erst nach dreieinhalb Jahren bei „Zapp“? Weil sie vorher keiner zu Wort habe kommen lassen.

In diesem Sommer soll das Buch verfilmt werden. Passt das manchen nicht – oder ist es letzte Gelegenheit, Dinge gradezurücken? Eine heute in Deutschland lebende Frau wird als Anführerin „Agawegatha“ und versierte Killerin beschrieben („Sie konnte töten und brüllen“). Falsch, sagt die, sie sei „nur Sängerin und Schülerin“ gewesen. Geklagt hatte sie bisher nicht. „Zapp“ will diese Woche nachlegen, Mehari will die Vorwürfe entkräften. Wir bleiben dran.

Senait Mehari bietet eine Ware an, die sich bestens verkauft: ein afrikanisches Rührstück für den Europäer mit Schuldkomplex. Warum sollte sie auch nicht?
VON JAN FEDDERSEN

Senait Mehari soll in ihrer Biografie „Feuerherz“ geflunkert haben, wie das NDR-Magazin „Zapp“ sagt? Löwen habe sie gesehen, die dort nicht leben? Falsch auch ihre Behauptung, Kindersoldatin gewesen zu sein? Aber wenn alles zuträfe, was die NDR-Rechercheure herausgepult haben, bliebe zu fragen: Na und?

Warum soll eine junge Frau aus Afrika, die es ins wohlhabende Mitteleuropa geschafft hat, nicht alles unternehmen, um Erfolg zu haben? Erst das Fressen, dann die Moral: Wer Aufstieg nötig hat, hält sich an diese Maxime, wer ihn nicht braucht, hält sie für herzlos: Sie ist aber die Einzige, auf die es ankommt.

Senait Mehari war Ende 2002 eine Hamburger Sängerin, deren Vertrag bei dem Musikkonzern Universal auszulaufen drohte: Ihre zwei Songs – unverkäuflich. Die taz hatte sie aber gewinnen wollen für einen Startplatz bei der deutschen Vorentscheidung beim Grand Prix Eurovision. Senait schien hungrig, ja gierig nach Erfolg. Die Biografie, die sie uns schilderte, hatte obendrein den entscheidenden Vorzug, dass sie ohne Opferfolklore auskam. Kein Blick zurück im Zorn, sondern entschlossen alle Möglichkeiten im Hier und Jetzt auslotend: kein Jammern über das, was war – sondern nutzen, was sein könnte. Da wollte eine zu Ruhm und Ehre: klasse! Ihre Vita hatte Lücken – das fiel aber nicht weiter ins Gewicht, denn Senait Mehari musste dem Publikum ja keine Bescheinigung über ihre Rentenanwartschaftszeiten vorlegen. Und sie wollte diesen Auftritt unbedingt: vor Millionen Zuschauern performen!

Sie hatte am Ende alles richtig gemacht, auch die drängelnden Avancen der Bild-Zeitung strikt abgelehnt, sie vor ihrem Auftritt quasi entblößt abzulichten. Sie war über den vierten Platz enttäuscht – ohne zu ahnen, dass ebendieses Scheitern ihr nützen sollte. Erst durch den Contest erhielt sie die Chance, eine afrikaverheulte Biografie zu schreiben. Ihr heutiges Publikum hält ja auf Authentizität und Weltmusik, nicht auf Pop und Glamour: So konnte sie stets beifallumtost erzählen, wie sehr sie „Kommerz“ à la Grand Prix verabscheue: Ihr Lebensroman war über Nacht auf Opfertum und Verhängnis umgeschrieben worden.

Die Zaubervokabel, auf die es in den Jahren danach ankam? Kommerz, Kindersoldaten, Afrika, Hunger und Leid. Und zwar in dem Buch „Feuerherz“. Es hat ihr den kommerziellen Erfolg gebracht, den sie wollte – Sozialhilfe, ade.

Sie hat rasch gelernt, dass dies das Stoffmuster war, das ihr wie heiße Ware aus der Hand gerissen wurde: die afrikanische Tragödie – fassbar in ihrer Person. Warum ihr also aus Ungenauigkeiten jetzt einen Vorwurf machen? Weshalb sie dafür kritisieren, dass sie Weggefährten in ihrem Buch diffamiert? Ist nicht jeder Aufstieg steinig, keine herrschaftsfreie Kommunikation im Schutze des milden Lichts Evangelischer Akademien? Es hätte doch niemand hören wollen, dieses differenzierte Erzählen. Dass unter Migranten Solidarität eine nützliche, aber zeitlich begrenzte Tugend ist mit geringer Halbwertszeit. Wer nach Europa will, kommt nicht als Muster christlicher Sensibilität, sondern als Kämpfer in eigener Sache.

Senait Mehari konnte dies nicht ohne Liebesentzug berichten. Der Circus Maximus der europäischen Wohlfahrtsbesoffenheit wollte von ihr, blutrünstig und leidensgeil, den Stoff, den sie parat hatte. Ein europäisches Empfindsamkeitsmilieu, das schon einen Holocaust-Hochstapler wie Binjamin Wilkomirski anbetete und eine Menschenrechtspolitikern wie Rigoberta Menchú feierte, obwohl deren Biografie später auch Bedenkliches erwies. Ein Milieu, das Afrika gern hat als Kulisse unendlicher Armut, um darin das eigene Gewissen mit Spenden – kulturellen und finanziellen – zu betten. Eine Kultur, die glaubt, die Schuld am einstigen Kolonialismus mit Tränen der Rührung abtragen zu können. Ein Milieu, das nicht gern über Politik spricht, über die Unfähigkeit der afrikanischen Eliten und ihrer Helfershelfer in den Industriestaaten, eigene Exzellenzfelder zu schaffen, Strukturen mit Zukunftschancen abseits der Militärapparate.

Diese deutsche Sängerin gab den Leuten, was sie wollten: eine kulturelle Ware, glaubwürdig transportiert. Kinderhilfswerke, überhaupt die Mitleidsindustrie waren dankbar. Senait Mehari hat sich astrein flexibel am Markt verhalten – ökonomisch wie kulturell. Ein Heuchler, der dies nicht respektierte.

Dass ihre Glaubwürdigkeit, ihr Kapital, nun leidet, muss ihr Sorgen bereiten. Nichts ist den Kreisen, die sie bedient, ärger als Vorgespiegeltes. Senait Mehari ist eine Freischärlerin in eigener Sache, kein Herz aus Eis.