die taz vor 17 jahren über diepgen als wahlkämpfer für die ost-cdu
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Das Diepgen, das sich in West-Berlin verzweifelt darum bemüht, von der Öffentlichkeit überhaupt noch wahrgenommen zu werden, erlebt in diesem milden Winter einen neuen Frühling im DDR-Wahlkampf.

Im Westen trat Diepgen in letzter Zeit kaum in Erscheinung, der vielbeschworene Hauch der Geschichte hat ihn links liegen lassen. Sein Vorstoß, am 6. Mai Gesamt-Berliner Wahlen stattfinden zu lassen, verhallte bis jetzt fast ungehört. Dahinter steht die unausgesprochene Hoffnung, in einer solchen Wahl endlich wieder auf die Seite der Macher der Geschichte zu treten, als neuer Oberbürgermeister von ganz Berlin. Welche Labsal muß es für seine gequälte Seele sein, wenigstens im Ostteil der Stadt aus König Mompers Schatten herauszutreten und auf gläubige Ohren zu stoßen – auch wenn die Ost-CDU kaum Erfolgschancen bei den Wahlen hat.

Im Osten läßt sich Diepgen feiern wie ein König und als künftiger Landesvorsitzender der Gesamt-Berliner CDU. Ob in Frankfurt, am Alex oder in Weißensee: Diepgen läuft im Wahlkampf zu Höchstformen auf, kann mit Parolen, die im Westen niemand mehr hinter dem Ofen vorlocken, Punkte sammeln. Freiheit statt Sozialismus – darauf springen die DDR-Bürger allemal an, wen stören da Tautologien wie „Wir sind ein Volk, weil wir zusammengehören“. Diepgen schlägt im DDR-Wahlkampf Töne an, die dem Wahlvolk dort noch fremd sind.

Ungerührt von der anrüchigen Vergangenheit der Ost-CDU und deren Schwierigkeiten mit der Demokratie prescht er nach vorn und verspricht den DDR-Bürgern mit den Wunderheilmitteln Marktwirtschaft und Einheit die Lösung all ihrer Probleme. Indem immer wieder die ach so bewundernswerte Revolution unserer Landsleute gepriesen wird, kann das eigene Wahlziel kaschiert werden: als Wiedervereinigungsbürgermeister in die Geschichte einzugehen. Bauernfängerei nennt man so etwas, auch bei Großstädtern. Kordula Doerfler, taz v. 19. 2. 1990