Schüler werden ausgesondert

Die Landesregierung setzt verstärkt auf Zentren für Sonderpädagogik. Kritiker befürchten, dass der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten SchülerInnen darunter leidet

VON BRIGITTE SCHUMANN

Es ist nur ein unscheinbarer Satz im neuen Schulgesetz, der eine Debatte ausgelöst hat: „Der Schulträger kann Förderschulen zu Kompetenzzentren für die sonderpädagogische Arbeit ausbauen“. Der Satz war unbemerkt von der Öffentlichkeit in letzter Minute eingefügt worden. Während sich der Interessenverband der Förderschulen (vds) sich auf neue Aufgaben freut, fühlen sich die Befürworter des Gemeinsamen Unterrichts (GU) von behinderten und nichtbehinderten SchülerInnen auf der Verliererstraße. Zudem weckte ein von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP beschlossener Landtagsantrag die Befürchtung, dass die Entwicklung des Gemeinschaftsunterrichts von der Interessenlage der Förderschulen abhängig sein wird. Die Skepsis gegenüber der Politik scheint berechtigt: Seit Jahren wird der Unterricht durch die Landespolitik stiefmütterlich behandelt.

1981 startete das Kultusministerium der damaligen SPD-Regierung auf Drängen von Eltern einen Schulversuch. In einigen Grund-, Gesamt- und Hauptschulen des Landes sollten Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen lernen und sonderpädagogisch unterstützt werden. Doch trotz pädagogischer Erfolge zögerte das Ministerium vor einer Entscheidung für den Gemeinschaftsunterricht. Erst 1995 wurde er nur für die Primarstufe gesetzlich verankert. Der gemeinsame Schulbesuch von behinderten und nichtbehinderten SchülerInnen in der Sekundarstufe lief bis 2004 und wurde danach auf Eis gelegt. Reformer kritisieren seither eine Unterfinanzierung des Unterrichts und bildungspolitischen Randstellung. Übrigens weicht die von der internationalen Schulentwicklung völlig ab. Von den 125.413 SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in NRW werden 88 Prozent immer noch in Förderschulen ausgesondert.

Um zu wissen, was nun auf die SchülerInnen zukommt, veranstalteten das Aktionsbündnis GU-NRW ein Hearing mit Vertretern aus der Regierungsfraktion. Die FDP schickte keinen Vertreter. Für die CDU kam Marie Theres Kastner. Nicht zufällig wurde in der Gesamtschule Köln-Holweide getagt – eine der wenigen Schulen im Land, die nach der Grundschule die Integration fortsetzen kann (und will). Mit 160 Förderschülern beweise sie täglich, so Schulleiter Karl-Robert Weigelt, dass der gemeinschaftliche Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten eine „Erfolgsgeschichte“ ist. Das Aktionsbündnis nannte er einen Zusammenschluss von „Überzeugungstätern“, die die Politik beraten wollen.

Die CDU-Vertreterin Kastner wiegelte ab. Keineswegs gehe es um einen Angriff auf den Unterricht. Vielmehr sollen nun Kompetenzzentren an den Start gehen, um mehr Gemeinsamkeit herzustellen und den Eltern bezüglich des Förderortes eine größere Mitsprache zu geben. Dass es aber keinen gezielten politischen Auftrag zum Ausbau des Gemeinschaftsunterrichts, geschweige denn einen Systemwechsel in der sonderpädagogischen Förderung geben wird, wurde im Verlauf der Veranstaltung klar. Zu viele Hindernisse wurden von der politischen Seite geltend gemacht: Die Regierung sei angetreten, die Qualität im bestehenden System zu steigern, sagte Kastner. Und: Ein Umsteuern sei nicht finanzierbar. Außerdem könnten Schulen und Lehrer nicht zu GU gezwungen werden. Das gelte auch für die Kommunen als Schulträger. Es gebe halt auch Eltern, die die Förderschule wollten.

Bernd Kochanek, Vorsitzender der LAG Gemeinsam Leben und Lernen, wollte die Einwände nicht gelten lassen. Die angekündigten Kompetenzzentren hätten die Integrationsbereitschaft der allgemeinen Schulen zu stärken und Eltern über Beratung ein Wahlrecht einzuräumen. Gerade deshalb dürften sie nicht an Förderschulen eingerichtet werden.

Während Kastner die Anwesenden bat, erst einmal das Handlungskonzept des Ministeriums abzuwarten, forderte das Aktionsbündnis eine Expertenanhörung der CDU-Landtagsfraktion. Mehr Vertrauen in das Schulministeriums hielten die Anwesenden für unangebracht.