Der Aufbau Ost ist beendet

Der CDU-Parteitag war auch eine deutliche Absage an die Hoffnung, mit einer Ostdeutschen als CDU-Kanzlerin würden die Probleme der neuen Länder gelöst – sie werden nun gar nicht mehr beachtet

VON MARTIN REICHERT

Nachdem schon die „blühenden Landschaften“ auf der Ära-Kohl-Altlastendeponie gelandet sind, geht es nun auch mit dem „Aufbau Ost“ zu Ende – ein Begriff, den ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Dresdner Parteitag der CDU nicht mehr in den Mund nehmen wollte, als es in ihrer Rede um das Grundsätzliche ging. Fällt der Osten nun unter „Gedöns“, um das sich Wolfgang Tiefensee (SPD) alleine kümmern muss? Begleitet allein durch die Klagegesänge von PDS und Linkspartei? Der arme Mann, hauptberuflich Verkehrsminister, ist mittlerweile nicht mehr damit beschäftigt, den Standard im Osten auf „Westniveau“ zu heben, sondern im Gegenteil zu senken: die Arbeitslosenquote!

„Nach 16 Jahren haben wir im Großen und Ganzen die gleichen Probleme“, bejahte Sachsens CDU-Parteivize Steffen Flath die Aussparung des Ost-Themas, und auch Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen, sagte: „Man braucht das Ritual nicht mehr, unbedingt etwas über den Osten sagen zu müssen.“ Zudem sei Merkel der klare Beweis, dass es aufwärts gehe im Osten: „Sie ist eine Repräsentantin dieses Landes.“

Die mit dem Beginn der Kanzlerschaft Angela Merkels aufkeimende Hoffnung, dass die Ostdeutsche den „Aufbau Ost“ zur Chefsache machen könnte, hat sich ebenso wenig bestätigt wie die Erwartungshaltungen einiger Frauenrechtlerinnen an die Kanzlerin. Beiderlei Begehrlichkeiten hat sich Angela Merkel bislang erfolgreich entzogen. Auf dem Dresdner Parteitag hat sie diese Haltung einmal mehr bestätigt – und würde Bernhard Vogels Analyse stimmen, hätte sich auch das Thema Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau seit rund einem Jahr erledigt. Es gibt einfach keinen Kanzlerinnen-Bonus Ost. Basta.

Womöglich spricht Angela Merkel mit ihrem Schweigen sogar der Mehrheit dieses Landes aus dem Herzen: In Westdeutschland will man schließlich schon lange nichts mehr vom Osten hören und wünscht sich stattdessen intakte kommunale Einrichtungen und Autobahnen vor Ort.

Eine kleine Test-Tour durch die Ost-Themen der letzten Tage: In Ostdeutschland fehlt es den Verbrauchern am notwendigen Kleingeld, um den Konsum anzukurbeln, außerdem bekommen rund 75 Prozent der Ostdeutschen kein Weihnachtsgeld. Ostdeutsche sehen ihre finanzielle Zukunft pessimistisch und glauben, dass sie im nächsten Jahr weniger Geld bekommen. Die Arbeitslosenquote von Halle ist so hoch wie auf Guadeloupe, die Arbeitslosigkeit in einigen Regionen Ostdeutschlands ist mit die höchste in der Europäischen Union. Der anhaltinische Kirchenpräsident Helge Klassohn hat die „Verarmung und Vergreisung“ ganzer Landstriche in „Mitteldeutschland“ beklagt. Lust auf mehr oder reicht es?

Siebzehn Jahre nach dem Mauerfall ist Wiedervereinigung wieder das, was sie vor 1989 war: ein Thema für Sonntagsreden, für einen Parteitag scheinbar nicht geeignet. Als – ausgerechnet – am 9. November Markus („der Mischa“) Wolf starb, trieb dies dementsprechend nicht nur alten Kampfgefährten, sondern auch manchen Konservativen im Westen Tränen in die Augen. Wie sagt doch „M“ im neuen James Bond so schön: „Gott, wie ich den Kalten Krieg vermisse.“

Wenige Tage später wurde Klaus Renft (Klaus Renft Combo), eine der wichtigsten, zeitweise mit Auftrittsverbot belegten Rocklegenden der DDR, beerdigt, am gleichen Tag vermeldete der Verfassungsschutz: In Ostdeutschland wurden 2005 überdurchschnittlich viele Konzerte rechtsextremistischer Bands verbucht.

Es ist immer verdächtig, wenn ein Thema plötzlich keines mehr sein soll, auch wenn nach langen Jahren der Debatte gewisse Ermüdungserscheinungen verständlich sind – und dass Angela Merkel keine Lust hat, weder ihre Weiblichkeit noch ihre Ost-Sozialisation hochzuhalten, mag aus persönlichen Gründen verständlich sein. Doch ausgerechnet der niedersächsische Regierungschef Christian Wulff geht andere Wege: „Wir haben noch viel zu leisten. Der Aufbau Ost bleibt ein Thema und hat große Priorität für die Union.“

Unter anderem möchte Wulff die Abwanderung junger Ostdeutscher in den Westen stoppen, sie sogar zu einer Rückkehr in den Osten bewegen – das niedersächsische Boot scheint bereits voll zu sein.

Die neuen Bundesländer entwickeln sich derweil allmählich zum größten Naturschutzgebiet Deutschlands. Über weite, entvölkerte Ebenen pfeift der Wind, in den Wäldern rauschen leise die Wipfel – über allem eine himmlische Ruhe.

Brauchen wir gar nicht drüber reden.