Zweisprachigkeit kann zur Lehrstelle führen

Das Zentrum für Türkeistudien hat in drei Jahren 500 neue Ausbildungsplätze in Migrantenbetrieben akquiriert. Hilfreich sei der Wegfall der Meisterprüfung in vielen Berufen. Landesregierung und EU fördern das Projekt

ESSEN taz ■ Um Lehrstellen zu schaffen, müssen die Hürden für Ausbilder gesenkt werden. Das scheint zumindest in hohem Maße auf türkischstämmige UnternehmerInnen zuzutreffen. Das Essener Zentrum für Türkeistudien (ZfT) zog gestern eine positive Bilanz ihres dreijährigen Ausbildungsprojekts, das im Ruhrgebiet fast 500 neue Lehrstellen geschaffen hat.

„Der Wegfall der Meisterprüfung für viele Berufe hat uns dabei sehr geholfen“, sagte Projektleiterin Gülay Kizilocak. Damit seien sprachliche Hemmnisse oder auch Prüfungsängste der Unternehmer mit einem Schlag beseitigt worden. Zusätzlich bedürfe es aber auch einer „intensiven Betreuung“ der Betriebe, auch nach der Einstellung eines Azubis. „Die Unternehmer haben eine Menge Informationsdefizite“, so die 48-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin.

Die meisten Lehrstellen haben Kizilocak und ihr Team in kaufmännischen Berufen akquiriert, viele auch im Verkauf oder in Friseursalons. Von den fast ausschließlich türkischstämmigen Azubis sind über die Hälfte Frauen. In Migrantenunternehmen sei die Zweisprachigkeit der Einwandererkinder stärker anerkannt, so Mitarbeiter Turan Kücük: „Viele der Betriebe haben Geschäftsbeziehungen in die Türkei.“ Da komme es manchmal mehr auf gute Türkischkenntnisse als auf ein gutes Abschlusszeugnis an.

Ein kleiner Hoffnungsfunken für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Denn ihre Ausbildungschancen haben sich laut Faruk Sen, Leiter des ZfT, deutlich verschlechtert. Von 1995 bis 2005 habe sich der Anteil der Jugendlichen türkischer Herkunft an der Zahl der Auszubildenden in Deutschland von 3,3 Prozent auf 1,6 Prozent mehr als halbiert. Dabei ist im gleichen Zeitraum die Zahl der türkischstämmigen Schüler und Schülerinnen um 8,6 Prozent auf rund 411.000 gestiegen, so Sen. Hintergrund dieser Entwicklung sei die Schulbildung dieser Gruppe, die oftmals die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt erschwere. „43 Prozent der Türkischstämmigen unter 30 Jahren haben keinen berufsqualifizierenden Schulabschluss“, sagte Sen.

Vor diesem Hintergrund und der allgemein schlechten Ausbildungssituation im Ruhrgebiet hat auch die Politik großes Interesse an mehr Lehrstellen in Migrantenbetrieben. Das dreijährige Projekt des ZfT, das Ende 2005 auslief, wurde mit so genannten Ziel-II-Geldern finanziert: EU und Land haben dafür 500.000 Euro ausgegeben.

Auch das Nachfolgeprojekt „Ausbildungsplatzakquise in Migrantenbetrieben“ wird von Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) unterstützt. Es zielt vor allem darauf, den Ausbildungswillen in der türkischen Community langfristig zu stärken. „Dafür werden Migrantenselbstorganisationen und ehrenamtliche Aquisiteure eingebunden“, sagte sein Sprecher Benedikt Wolbeck der taz. Die Akquise soll dann zum Selbstläufer werden. „Es ist oft besser, wenn türkische Unternehmer für die Schaffung von Lehrstellen werben, als wenn wir in die Betriebe gehen“, so Wolbeck. Das Projekt geht bis Ende 2007 und kostet Land und EU jeweils 160.000 Euro. Ob die Novellierung der Handwerksordnung bei den Migrantenbetrieben zu mehr Lehrstellen geführt habe, wisse er nicht. „Wenn dies der Nebeneffekt sein sollte, so ist das natürlich zu begrüßen“, sagte er.

NATALIE WIESMANN