Innensicht Pflegeheim
: „Nur das Notdürftigste“

Die Eindrücke aus dem Pflegeheim ließen Andrea Schneider (Name geändert) keine Ruhe. Sie hat sich als ehemalige Angestellte an die Beratungsstelle „Pflege in Not“ gewandt, um an den Zuständen etwas zu ändern.

„Sauber, hell, freundlich – das war mein erster Eindruck, als ich in das Heim gekommen bin. Erst peu à peu habe ich gemerkt: Der erste Augenschein trügt. Die alten Menschen werden nur aufs Notdürftigste versorgt: Die Köpfe haben gerochen, die Nägel waren schmutzig und überall der Geruch von Urin. Alles nicht hochkriminell, aber alarmierend.

Oft wurden die Bewohner bis mittags nicht aus dem Bett geholt. Sie hatten nicht gefrühstückt, sollten aber um 12 Uhr schon mittagessen. Gab es Mittagessen, mussten viele alte Menschen gefüttert werden. Ich habe mich dabei um zwei Bewohner gleichzeitig gekümmert. Und musste dabei beobachten, dass eine andere ältere Dame nichts bekam – es gab niemanden, der sie hätte füttern können. Bis sie dann doch irgendwann dran war, war das Essen kalt.

Auch Körperhygiene war ein Zeitproblem: Viele alte Menschen wollten auf die Toilette gebracht werden. Ich habe den Wohnbereichsleiter mehrfach darauf hingewiesen. Das sei nicht realisierbar, war seine Antwort. Die Bewohner wurden also gewindelt. Gewechselt wurde die Windel allerdings nur, wenn die alten Menschen ins Bett gelegt wurden – also ungefähr dreimal am Tag.

Das Personal, das, wie ich erfahren habe, in den letzten Jahren massiv gekürzt wurde, war einfach heillos überfordert. Es gab fünf Pflegekräfte für 40 Bewohner. Gab es unvorhergesehene Situationen und ein Bewohner brauchte plötzlich die Aufmerksamkeit mehrerer Pfleger, brach das Chaos aus.

Den Stress und Zeitdruck kompensierten die Pfleger unterschiedlich: Einige verzweifeln, weil sie versuchten, den alten Menschen liebevoll gerecht zu werden. Andere waren rabiater. Misshandlungen habe ich nicht mitbekommen. Was besonders schlimm war, war verbale Gewalt. Einmal hat sich ein Pfleger neben eine fast hundertjährige Frau im Rollstuhl gestellt und sich über sie lustig gemacht – über die Art, wie sie ihr Kinn nach vorne schob.“

PROTOKOLL: GITTE DIENER