Nähkurse für das Selbstvertrauen

BILDUNG Kitas sind wichtig für die Integration, werden aber noch immer zu wenig von Migranteneltern genutzt. Im Berliner Stadtteil Wedding zeigt ein Familienzentrum, wie sich das ändern lässt

27 Prozent der Kitas bundesweit haben ihr Angebot interkulturell ausgerichtet

BERLIN taz | Hinter einem abgenutzten gelben halbhohen Zaun liegt, etwas verwunschen, ein erstaunlich kleines und modernes Häuschen. Die rote Fassade lockt die Besucher auf ihrem Weg durch ein Stückchen Natur heran. Die Tür öffnet Selda Karaçay: sie leitet das Häuschen, es ist das Familienzentrum Wattstraße in Berlin-Wedding. Elternberatung ist das Ziel der Einrichtung. Familien mit Migrationshintergrund kommen hierher, um die deutsche Sprache zu erlernen oder sich über gesunde Ernährung und andere Themen zu informieren.

Damit leistet das Pfefferwerk, Träger des Weddinger Familienzentrums, wichtige Pionierarbeit. Denn 99 Prozent der Mütter und Väter, die in die Wattstraße kommen, haben ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands. Und eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigt, dass es nur selten so rund läuft wie bei Selda Karaçay.

Bloß 27 Prozent der Kindertagesstätten bundesweit haben ihr Angebot wie das Pfefferwerk interkulturell ausgerichtet. Dabei wäre dies für die Integration bedeutsam, wie es in der Studie „Kitas als Brückenbauer“ heißt.

Eltern mit Migrationshintergrund stehen bei der Erziehung ihrer Kinder oftmals vor der Hürde, sich im deutschen Bildungssystem nicht auszukennen. Sprachliche und kulturelle Barrieren kommen hinzu. Kitas könnten bei diesen Problemen wichtige Anlaufstellen sein, sind hierfür aber laut der SVR-Studie zu oft zu schlecht mit Personal und Kompetenz ausgestattet.

Im Falle des Pfefferwerks baute die auf demselben Gelände bereits angesiedelte Kita tatsächlich die Brücke. Die Organisatoren banden die dortigen Eltern in die Planungsphase des 2010 eröffneten Familienzentrums ein – mit Erfolg. Anfänglich kamen 10 Besucher pro Woche, inzwischen sind es im Schnitt 17. Es sind überwiegend Frauen, die hier – neben dem Beratungsangebot – zusammen kochen, Tee trinken und Pilates- oder Nähkurse annehmen. „Die Mütter gehen mit viel mehr Selbstbewusstsein wieder nach Hause“, beobachtet die Leiterin Selda Karaçay.

Doch obwohl das Weddinger Familienzentrum ein Vorzeigeprojekt ist, haben die Verantwortlichen auch hier mit einer Fülle an Sorgen zu kämpfen: vor allem mit der Finanzierung. Die Leiterin Selda Karaçay beispielsweise hat nur eine 30-Stunden-Stelle, eine Aushilfe ist befristet bis zum Jahresende angestellt. „So lässt sich das Familienzentrum natürlich nicht leiten“, sagt Karaçay. Hinzu kommt, dass ein wesentliches Programm ebenfalls vor dem Aus steht. Die „Kiezmütter“ ziehen durch die Familien der Nachbarschaft, sie bilden damit eine wichtige Schnittstelle zwischen den Bewohnern und dem Zentrum. Der Senat sieht das Ganze als vorübergehendes „Projekt“ an und lässt das Geld auslaufen. Karin Rechenberg-Grab vom Pfefferwerk bedauert das: „Es wird immer eine Reihe von Dingen angestoßen, die, sobald sie etabliert sind, nicht mehr weiterfinanziert werden.“

Inzwischen gibt es in vielen Bundesländern solche Familienzentren, die wie in Berlin-Wedding integrative Basisarbeit leisten, insbesondere in Nordrhein-Westfalen. Aber selbst an Kindertagesstätten mit einem hohen Anteil an Zuwandererkindern besteht ein großer Nachholbedarf. Die Studie des SVR mahnt an, dass Bund, Länder und Kommunen die Kitas dabei dringend unterstützen müssten. Es bräuchte mehr konzeptionelle und finanzielle Hilfe – und bessere Aus- und Fortbildungsangebote für die Erzieher.

HENNING RASCHE