Edel sei die Frau, hilfreich und gut

„Die Freimaurerei liegt im Wesen des Menschen begründet“

VON CHRISTIANE MARTIN

Der große hohe Saal ist von elektrischen Kerzenlüstern erleuchtet. Der Blick fällt unwillkürlich zu einem Wandgemälde an der Stirnseite, wird dann aber schnell zur Decke gelenkt, wo sich, einem Band gleich, eine Reihe berühmter Namen schlängelt: Goethe, Mozart, Franklin, Voltaire, Lessing, Blücher, Haydn, Herder und so weiter. Unter diesen gewaltigen Namen versammeln sich in Köln regelmäßig etwa 40 Frauen und führen eine Jahrhunderte alte Tradition fort: die Freimaurerei (siehe Kasten). Auch wenn es manchem der Altehrwürdigen nicht gefallen würde – seit über 50 Jahren ist das gemeinsame Streben nach humanistischen Idealen kein Männerprivileg mehr. In Deutschland gibt es inzwischen nicht nur gemischte Freimaurerlogen, sondern auch 15 reine Frauenlogen.

„Sci Viam“, was so viel wie „Wisse den Weg“ bedeutet, ist eine davon. Martine Wolst ist bei dieser Kölner Loge die Meisterin vom Stuhl, wie die Freimaurer ihre Vorsitzenden nennen. Sie zitiert Lessing, wenn sie nach der Berechtigung der femininen Freimaurerei gefragt wird: „Die Freimaurerei liegt im Wesen des Menschen begründet.“ Damit seien ja wohl eindeutig Frauen nicht ausgeschlossen. Mehr gibt es für sie und ihre Mitschwestern dazu nicht zu sagen. Die Freimaurerinnen sind keine Feministinnen, ihr Ziel ist nicht die Emanzipation. So stellen sie die uralten Männerrituale auch nicht in Frage oder erfinden gar neue, sondern adaptieren sie fast vollständig. „Natürlich wird das auch heute noch von manchen männlichen Freimaurern kritisch beäugt“, sagt Martine Wolst – und zuckt mit den Achseln. Ihr ist das egal.

Die gebürtige Französin stieß zufällig auf die Freimaurerei. „Ich habe mich immer in gesellschaftlichen Spannungsfeldern bewegt: als Protestantin im katholischen Frankreich, als Tochter eines Soldaten und heute als Lehrerin in einem Beruf, der wenig Anerkennung findet.“ Nach Orientierung suchend, dem Sinn des Lebens auf der Spur und dem Bedürfnis nach geistigem Austausch über die „wirklich wichtigen Dinge“ folgend, landete sie bei den Freimaurerinnen. Motive, die viele mit ihr teilen. „Seit über 15 Jahren suche ich nach meinem spirituellen Weg. Könnte mich die Zugehörigkeit in einer Freimaurerloge weiterbringen?“, fragte etwa ein männlicher Interessent auf der Website der Vereinigten Großlogen von Deutschland. Seine Suche im riesigen „Esoteriksupermarkt der Zeit“ sei bisher erfolglos verlaufen, habe ihn aber direkt zu den Freimaurern geführt und nun wolle er gern als Mitglied einer Loge die „größere Wahrheit und Wirklichkeit“ erfahren.

Ob dieser Suchende allerdings findet, was er sich erhofft, darf bezweifelt werden. Denn die Freimaurer stellen eher Fragen, als dass sie Antworten geben. Und sie sind ausgesprochen auf das Diesseits orientiert. Nichts Religiöses oder gar Esoterisches wollen sie sich nachsagen lassen. In der Sprache der Freimaurer heißt das, was sie tun, den „rauen Stein behauen“ und „am großen Ganzen bauen“. Sie meinen damit die stete Arbeit an sich selbst, um ein besserer Mensch zu werden und so seinen Beitrag zu einer guten Welt zu leisten. Die mystische Verklärtheit, die ihnen dabei anhaftet, kommt traditionell aus ihrer Verschwiegenheit. Die Türen ihrer Logen und Tempel, in denen sie sich treffen, sind Nichteingeweihten in der Regel verschlossen. Und seit je her ranken sich deshalb wilde Spekulationen auch um die Absichten der Freimaurer.

Um dem entgegenzuwirken, nicht als Geheimbund zu gelten und auch um Nachwuchs zu rekrutieren, öffnen heutige Freimaurer meist regelmäßig ihre Pforten und laden ausgewählte Personen zu so genannten Gästeabenden ein. So auch die Kölner Frauenloge Sci Viam. Einmal im Monat findet im Kölner „Haus der Freimaurer“, Treffpunkt verschiedener Logen, eines dieser halböffentlichen Treffen statt, die Martine Wolst als Meisterin vom Stuhl leitet.

Als Erstes begrüßt sie die anwesenden Frauen. Die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, haben gefärbtes und geföntes Haar und ein gediegenes Äußeres mit Perlenohrringen und weißen Blusen unter dem Blazer. Eher gut betucht als arm wirkend, öffnen sie ihre Geldbörsen, als die Meisterin vom Stuhl zur Spende für das „Kölner Mädchenhaus“ aufruft. Immerhin: Demm die karitative Tätigkeit der Freimaurerinnen beschränkt sich auf diese Spendenaktion. Die Freimaurergemeinschaft pflege nur theoretisch das Gut-Mensch-Sein. Praktisch umsetzen muss die schönen Freimaurer-Gedanken jeder für sich in seinem eigenen Leben, erklärt Martine Wolst dazu. Die Spannbreite dabei scheint weit. Die Freimaurerinnen berufen sich lediglich auf einen Minimalkonsens, der in der Annahme der Würde des Menschen besteht. Ob und wie man sich also tatsächlich engagiert und wie viel man spendet, bleibt jedem selbst überlassen. Kleingeld und Scheine fallen in den Klingelbeutel.

Dann beginnt der Vortrag, den eine der Freimaurerinnen zum Thema „Freiheit“ hält. Die Essenz ist eher bodenständig: Freiheit ist vielschichtig und schwer zu definieren. Jeder sehnt sich nach Freiheit. Freiheit ist unser kostbarstes Gut. In freimaurischer Art wird im Anschluss daran ein Gespräch geführt – keine Diskussion! Wer sich zu Wort meldet, wird auf eine Rednerliste geschrieben, die der Reihe nach abgearbeitet wird. „Toleranz steht im Vordergrund. Keine Aussage wird beurteilt“, so Martine Wolst. „Wir schaffen uns einen freien Raum, in dem wir uns mit unseren Idealen – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – auseinandersetzen können“.

Der folgende informelle Teil des Abends scheint dabei der wichtigere zu sein. Jetzt werden Einzelgespräche geführt. „Die Schwestern prüfen, welche der interessierten Frauen so weit ist, dass sie in die Loge aufgenommen werden kann“, sagt Martine Wolst. Dies sei frühestens nach einem Jahr möglich und nur, wenn sie geistig und materiell unabhängig ist. Letzteres bedeute aber lediglich, dass sie in der Lage sein sollte, die 20 Euro monatlichen Beitrag aufzubringen. Wer sich bewährt hat, darf dann auch am spirituellen Teil der Freimaurerei teilnehmen: der Tempelarbeit, in der die Ideale mit Hilfe von Ritualen verinnerlicht werden. Über deren Ablauf wahren die Freimaurer bis heute Stillschweigen. Hier endet die Öffentlichkeitsarbeit und man nimmt billigend in Kauf, dass die Neugier nur um so mehr geschürt wird und die fantastischen Geschichten weiter gesponnen werden.

Marion W.* ist eine der jüngsten Freimaurerinnen in Köln. Die 29- jährige Religionswissenschaftlerin macht kein Geheimnis daraus, das sie Freimaurerin ist, im Gegensatz zu Martine Wolst, die das ihrer Mutter nicht einmal auf dem Sterbebett verriet. Doch auch Marion W.* verzieht bedauernd das Gesicht und lächelt freundlich, wenn sie nach dem Freimaurerritual und der Tempelarbeit gefragt wird. „Das kann man nicht erklären, sondern nur erleben“, sagt die 29-Jährige ausweichend. Sie kann nicht nur nicht, sondern sie will und darf auch nicht: Wie jeder Freimaurer unterliegt sie einem Schweigegelübde über freimaurerische Erkennungszeichen und detaillierte Formen und Inhalte der Rituale. Auch Marion W.* weiß, dass diese dennoch oft verraten wurden. „Man kann es nachlesen in Büchern und im Internet“, sagt sie. Wichtig aber sei, dass man selbst nicht darüber spreche und das persönliche Erlebnis des Rituals für sich behielte – als freimaurerisches Geheimnis.

Und so gibt es keine Bestätigung für das, was auf verschiedenen Websites über Freimaurerrituale nachzulesen ist: lange festgelegte Dialoge zwischen dem Stuhlmeister und zwei so genannten Aufsehern, Kerzen, die entzündet werden, Säulen und Himmelsrichtungen, die eine Rolle spielen, Handzeichen und Gesten, die gemeinsam ausgeführt werden. Trotz zum Teil recht detaillierter Beschreibungen bleibt die Vorstellung vage. Martine Wolst und Marion W.* wird es freuen, denn für sie hat Goethes Freimaurergedicht bis heute Gültigkeit: „Niemand soll und wird es schauen, was einander wir vertraut. Denn auf Schweigen und Vertrauen ist der Tempel aufgebaut.“* Name wurde 2013 anonymisiert