Geisterhafte Nachträglichkeit

KURZFILMESSAY In „Redemption“ von Miguel Gomes geht alles durcheinander: die Texte, die Bilder, die Stimmen

„Redemption“ ist ein kurzer Film für vier Stimmen in vier Sprachen: Portugiesisch, Italienisch, Französisch und Deutsch. Drei männliche Stimmen, eine weibliche. Es spricht immer ein Ich. Das portugiesische Ich erinnert sich nostalgisch an die frühere Kolonie Angola. Das italienische Ich ist ein alternder Mann, der eine Jugendliebe adressiert. Das französische Ich prophezeit seiner Tochter eine Zukunft, in der er weitgehend abwesend ist. Und das deutsche Ich heiratet, in Leipzig – es ist das Jahr 1977, und dem sozialistischen Bewusstsein kommt ständig Richard Wagner dazwischen. Wer spricht, bleibt unklar bis zu den Einblendungen ganz am Ende. Die Namen, die dort erscheinen, sind eine Pointe, die das Gehörte neu kontextualisieren. Es sind Politikernamen, von Silvio Berlusconi bis Angela Merkel.

„Redemption“ ist ein kurzer Film, in vielen, sehr vielen Bildern. Die Bilder sind „Found Footage“, Fundstücke aus Archiven. Ihre Zuordnung zu den Stimmen und den vagen Geschichten, die sich in den Monologen abzeichnen, ist nicht beliebig, aber prekär. Im portugiesischen Teil sieht man unter anderem Aufnahmen aus Afrika, im französischen eine Schlittenfahrt, im deutschen Hochzeitsaufnahmen. Die Texte sind genau datiert, aber nicht echt, sie sind den Politikernamen untergeschoben. Und keines der Bilder ist am rechten Fleck, sie kommen von irgendwo und sind den Bezügen, in die Miguel Gomes sie stellt, mal mehr, mal weniger fremd.

Die Texte, die Bilder, die Stimmen, alles geht durcheinander. Es geht schön, anregend, ja aufregend durcheinander, aber man kommt kaum hinterher. Man schaut, hört, staunt, stellt Verbindungen her, die den Verbindungen, die der Film herstellt oder jedenfalls suggeriert, nicht unbedingt gleichen. Im deutschen Teil werden die dokumentarischen Hochzeitsaufnahmen von animierten biologischen Lehrfilmsequenzen überlagert, könnte jedenfalls sein, dass es sich um so etwas handelt. Dazu die Stimme, die spricht – übrigens die der Regisseurin Maren Ade, die den Film koproduziert hat. Dazu Wagnermusik. Außerdem sieht man Elefanten beim Turnen, Sprünge von hohen Gebäuden ins Sprungtuch, Kinderarbeit in einer Teddybärenmanufaktur. Es reimt sich, es reimt sich nicht. Aber reimt es sich auf Politik?

„Redemption“ ist ein Film über das Politische und das Private und ein Film über die Kluft zwischen beidem. Er schreibt intime Überlegungen Politikern zu. Und doch ist die Politik auch im Intimen präsent. Aber dabei von geisterhafter Nachträglichkeit. „Redemption“ ist wie alle Filme von Miguel Gomes gar kein Film über. Die Texturen, die Bilder, die Stimmen, die Montagen und Überlagerungen, in ihnen liegt, was den Film und dann auch seine Betrachter bewegt. Und bewegt ist man oder gerührt, obwohl man nicht sagen kann, warum und wodurch. Es ist traurig und komisch, ernst, aber nicht ganz. In Gomes-Filmen bekommt man ganz eigenartige Gomes-Gefühle. So ist das hier auch. EKKEHARD KNÖRER

■ „Redemption“, Regie: Miguel Gomes. Mit den Stimmen von Jaime Pereira, Donatello Brida, Jean-Pierre Rehm und Maren Ade. Portugal/ F/D/I 2013, 27 Min. Am 20. 8. um 20 Uhr im Arsenal-Kino