Konfessionslos in die Kathedrale

Die katholische Kirche bietet erstmals eine „absolut religionsfreie“ Übergangsfeier für nicht getaufte Jugendliche an. Angesprochen fühlen sich GymnasiastInnen aus ostdeutschen bürgerlichen Familien

„Ich will Jugendlichen helfen, sich Gedanken über Werte in ihrem Leben zu machen“

VON SEBASTIAN KRETZ

Initiationsrituale kennt die Menschheit seit Jahrtausenden. Bei den brasilianischen Carajá müssen die Jungs sich die Unterlippe durchbohren lassen, bevor sie zu richtigen Männern werden. Dem katholischen Nachwuchs reicht dagegen die gewaltfreie Firmung als Eintrittskarte in die Welt der Erwachsenen.

Für heidnische Mitbürger hat ausgerechnet die katholische Kirche jetzt ein besonders kuscheliges Ritual auf den Markt geworfen: Der Berliner Dompfarrer Alfons Kluck bereitet nicht getaufte Jugendliche auf eine „Wunsch- und Segensfeier“ vor. „Mein Angebot ist absolut religionsfrei“, sagt Kluck, der vor fünf Jahren auf Anfrage von Eltern seine erste profane Übergangsfeier ausrichtete.

Um sie für das Erwachsenenalter zu wappnen, bastelt der Pfarrer erst mal ganz profan mit seinen Schützlingen. Sechs konfessionslose 14-Jährige sitzen am Tisch und schreiben Wörter auf bunte Kärtchen.

Ein Lebenshaus sollen die TeilnehmerInnnen bauen, sich dabei über ihre Wünsche und Werte klar werden. „So lernen die Jugendlichen zu unterscheiden, was in ihrem Leben das Fundament ist und was das schützende Dach“, erklärt Kluck seinen Unterricht, der auf den ersten Blick eher an Bastelstunden in der Schule als an die Erwachsenenwelt erinnert.

An die hundert Kärtchen seien beim ersten Treffen zusammengekommen, berichtet Kluck stolz. Darauf hätten die Teenager geschrieben, was für sie im Leben wichtig sei. Dann diskutiere er mit ihnen über diese Werte. „Ein Mädchen hatte das Geigenspiel als Fundament ihres Lebens betrachtet“, erzählt der Pfarrer. Ein anderer Teilnehmer habe sie gefragt, ob sie denn nicht mehr leben wolle, wenn sie durch einen Unfall einen Arm verlieren würde. „Da wurde sie stutzig und wählte einen anderen Begriff.“

Etwa ein halbes Jahr lang trifft Kluck sich mit den Jugendlichen und bereitet sie auf die Feier vor. „Ich will nichtgetauften Jugendlichen helfen, sich Gedanken über die Werte in ihrem Leben zu machen“, erklärt der 65-Jährige das Ziel der Vorbereitungsstunden. Seitdem haben sich etwa 40 Jugendliche für den Exoten unter den Initiationsritualen entschieden.

Die Feier findet indes an einem durch und durch geistlichen Ort statt – der St.-Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz. „Die Teilnehmer hatten die Wahl zwischen dem Pfarrsaal und der Kirche“, erklärt Kluck. Bislang hätten sie sich aber stets für die Kathedrale entschieden.

Victoria Pankraths gehört dazu. Die 14-jährige Berlinerin geht auf eine katholische Schule. „Die meisten meiner Mitschüler besuchen religiöse oder humanistische Vorbereitungskurse. Ich wollte auch so etwas machen, habe aber keine Beziehung zu einer christlichen Gemeinde“, erklärt Victoria. Von einem humanistischen Übergangsfest riet Victorias Vater ihr ab. Er habe selbst in der DDR die Jugendweihe mitgemacht und befürchte, die Jugendlichen würden dabei auch heute noch politisch beeinflusst. „Dann haben meine Großeltern von Pfarrer Klucks Angebot erzählt“, sagt die Schülerin.

Wörter wie „Familie“ oder „Freunde“ hat Victoria auf die bunten Kärtchen geschrieben. In den folgenden Treffen sollen die Jugendlichen einen Bauplan ihres Lebenshauses erstellen. Darüber sei sie sich aber noch nicht sicher. „Bis jetzt habe ich noch nicht so viel gelernt. Wir haben uns ja erst dreimal getroffen“, sagt Victoria. Genauere Vorstellungen habe sie allerdings über die abschließende Feier. „Ich möchte, dass der Pfarrer mich segnet.“ Der religiöse Aspekt schrecke sie nicht ab.

Jonas Ruß dagegen hat ein sehr weltliches Motiv, bei Kluck ein Lebenshaus zu bauen: „Die Geschenke sind bei einer solchen Feier der Hauptgrund“, sagt der 14-Jährige aus Mahlow. „Mit der Kirche habe ich eigentlich nichts am Hut“, stellt Jonas klar. Eine humanistische Jugendfeier sei jedoch auch für ihn nicht in Frage gekommen. „Mein Bruder hat das gemacht, aber die Vorbereitungsstunden waren überfüllt, er hat dort nicht viel gelernt“, sagt der Schüler.

Und noch ein anderer Grund führt Jonas zu Klucks Kurs: Von der Feier erhoffe er sich eine „tolle Darbietung“ in der Kathedrale. „Die Stimmung ist besser, wenn die Orgel spielt und man in einer Kirche ist“, erklärt Jonas, der in seiner Freizeit selbst musiziert – er spielt seit sechs Jahren Klavier.

Klucks aufklärerische Mission scheint dennoch nicht verloren: „Über ernste Themen wie Tod und Sterben sprechen wir in den Vorbereitungsstunden anders als in unserer Freizeit“, lobt Jonas. Besonders interessant habe er ein Gespräch über die Vollkommenheit des Menschen gefunden.

Ob Kluck die missionarische Routine des Dompfarrers tatsächlich außen vor lässt, wissen nur die Teilnehmer selbst: „Ich habe mich mit Teilnehmern und Eltern geeinigt, dass Presse und Öffentlichkeit von den Vorbereitungsstunden ausgeschlossen sind“, erklärt Kluck. Zu persönlich seien die Gespräche, zu bewegend die abschließende Zeremonie. Sein Angebot würden vor allem Jugendliche nutzen, „die eine würdige Feier im Übergang zum Erwachsenenalter wünschen“, sagt Kluck.

„Die Stimmung ist besser, wenn die Orgel spielt und man in einer Kirche ist“

Die meisten gingen auf ein Gymnasium, oft seien die Eltern in der DDR aufgewachsen. „Sie befürchten, dass bei konfessionslosen Feiern ihren Kindern das alte Gedankengut beigebracht wird“, erklärt Kluck. Andere fänden freidenkerische Alternativen zu spaßorientiert. „Partygeschirr aus Ton“ oder „Zauberei – funktioniert das wirklich?“ bietet zum Beispiel der Humanistische Verband Deutschlands im Vorbereitungsprogramm zu seiner „Jugendfeier“ an. Der Katholik Kluck dagegen will Werte weitergeben: „Es ist nicht alles ‚gleich gültig‘, in den Vorbereitungsstunden möchte ich das vermitteln“, sagt Kluck. Die Jugendlichen sind sich einig: Kluck will sie nicht durchs konfessionslose Hintertürchen vom Christentum überzeugen. „Wir sprechen über das alltägliche Verhalten der Menschen, die Religion spielt dabei gar keine Rolle“, erklärt Jonas.

Spätestens zur großen Zeremonie am 5. Mai in der kreisrunden Kathedrale ist es jedoch vorbei mit dem strengen Religionsverzicht: „Die Mädchen tragen schicke Kleider, die Jungs Anzüge, wenn sie mit ihren Familien in die Kirche einziehen“, sagt Kluck. Der Organist begleite den Einzug mit festlicher Musik. „Dann tragen die Jugendlichen vor, was sie sich für ihr Leben wünschen“, beschreibt Kluck den Höhepunkt der Feier. Danach seien die Eltern an der Reihe, ihre Wünsche für den Nachwuchs zu äußern. Die kleinen Carajá-Indianer würden schmunzeln über solch ein friedfertiges Ritual. Zum Schluss wird Kluck noch einmal das Wort ergreifen – und sich seiner missionarischen Routine nicht entziehen: „Jeder der sechs Teilnehmer kann entscheiden, ob ich ihn segnen soll, statt ihm einen Wunsch zu sagen“, verrät Kluck. „Viele denken sich, dass ihnen mein Segen nicht schaden kann, auch wenn sie nicht religiös sind.“

Den seiner Religion eigenen missionarischen Eifer streitet Kluck nicht ab. „Der Verdacht, katholische Geistliche wollten bei jeder Gelegenheit missionieren, trifft aber nicht zu“, sagt der Pfarrer. Für die religiöse Überzeugungsarbeit habe er andere Gruppen. Getaufte Kinder und Erwachsene könnten bei Kluck „Glaubenskurse“ belegen. „Die dienen dann ausdrücklich der Missionierung“, erklärt der Priester.

Corinna Tellkamp vom Humanistischen Verband Deutschlands bezweifelt dagegen, dass Kluck Weltliches und Geistliches wirklich trennt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Religion keine Rolle spielt, wenn ein katholischer Pfarrer in einer Kathedrale Segen spendet“, sagt Tellkamp. Eine Konkurrenz sähen die Humanisten in dem Neuling unter den Übergangsfesten ohnehin nicht. „Unsere jährlichen Jugendfeiern im Friedrichsstadtpalast sind mit jeweils rund 1.500 Teilnehmern sehr gut besucht“, erklärt Tellkamp.

Auch Klucks evangelische Kollegen sind skeptisch. Für sie ist Klucks profane Feier ein Verrat am Missionsauftrag der christlichen Religion. „Wo Kirche draufsteht, muss auch Kirche drin sein“, fordert Markus Bräuer, Pressesprecher der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Daher werde es bei den Protestanten auch kein vergleichbares Fest geben. „Wir bieten aber zum Beispiel Sommercamps an, die auch nicht getauften Jugendlichen offen stehen.“ Darüber hinaus sei es nicht nötig, Werbung außerhalb der evangelischen Kirche zu betreiben. „Die Zahl bleibt konstant, obwohl es insgesamt immer weniger Jugendliche gibt“, sagt Bräuer.

Die „Wunsch- und Segensfeier“ sei jedoch ein „reines Abfallprodukt“, betont Kluck. Sie habe nichts zu tun mit den strengen Regeln, die das katholische Leben strukturieren. Verlorene Söhne und Töchter dürften nicht an seinem weltlichen Ritual teilnehmen. „Wer bereits getauft ist, muss vom Bischof die Firmung empfangen“, erklärt Kluck. Alles andere sei eine Verletzung des Sakraments. Aus demselben Grund habe er auch Anfragen nach einer außerkirchlichen Heirat absagen müssen.