„Was groovt, kommt an“

Am Schulzentrum Sebaldsbrück in Bremen hat Friedhelm Temme das Musikprojekt „Bläserklassen“ mit ins Leben gerufen. Über Nutzen und Herausforderungen der improvisierten Musik im Schulunterricht spricht er heute auf der Musikmesse „Jazzahead“ – und in der taz nord

FRIEDHELM TEMME ist Musiklehrer und Leiter des Musikprofils Bläserklassen im Schulzentrum Sebaldsbrück. FOTO: PRIVAT

INTERVIEW JULIA BRODERSEN

taz: Herr Temme, wie steht es um den Jazz im Musikunterricht?

Friedhelm Temme: Da muss man eigentlich weit ausholen. Das Thema Jazz ist schon hin und wieder im Musikunterricht durchgenommen worden. Aber dann nur sehr theoretisch und eher in Zusammenhang mit der Geschichte der Nachkriegszeit und verschiedenen Jazzrichtungen wie Swing, Fusion oder Rockjazz. Seit ein paar Jahren aber wird Jazz zunehmend praxisorientierter im Unterricht behandelt. Um ein bisschen Theorie kommt man natürlich trotzdem nicht herum. Zwischen Theorie und Praxis muss man einfach die Balance finden.

Wie sieht diese Praxis im Schulalltag aus?

An vielen Schulen in Deutschland gibt es seit ein paar Jahren das Konzept der Bläserklassen. Bei uns am Schulzentrum Sebaldsbrück haben wir dieses Musikprofil seit 2001. In Zusammenarbeit mit Musikschulen lernt jeder Schüler von Klasse fünf bis zehn wöchentlich in vier Musikstunden ein Instrument. In höheren Klassen haben die Schüler dann die Möglichkeit, in der Big Band zu jazzen. Dieser praktische Unterricht ist etwas besonderes. Bislang war es den Schülern sonst nur in AGs möglich, richtig Musik oder eben Jazz zu machen.

Wie wird das Projekt bei Ihnen angenommen?

Ursprünglich hatten wir es nur bis Klasse sieben geplant, aber die Nachfrage war so hoch, dass wir jetzt bis einschließlich Klasse zehn Bläserklassen haben. Die Musikerziehung, die sonst eher im privaten Einzelunterricht erfolgte, wird nun wieder in die Schulen in Gruppen oder ganze Klassen verlegt. Musik ist dadurch bei uns ein Hauptfach.

Welche Erfahrungen machen Sie in Ihren Bläserklassen?

Die Tatsache, dass alle Schüler in einer Klasse zum gleichen Zeitpunkt ein neues Instrument lernen, stärkt die Klassengemeinschaft und den sozialen Zusammenhalt insgesamt. Die Schüler haben ein gemeinsames Ziel und zeigen auch, wie wir schnell feststellen konnten, ähnliche Lernfortschritte, wenn sie in der Gruppe sind. Für viele ist der regelmäßige praktische Musikunterricht auch ein guter Ausgleich zu anderen Fächern. Das merken wir an den geringeren Fehlzeiten mancher Schüler. Ich habe auch schon mit der Big Band Konzerte gegeben, bei denen Schüler krank waren, aber unbedingt mitspielen wollten. Ihre Motivation ist schon sehr groß.

Welches Potenzial für die frühe Musikbildung steckt im Jazz?

Jazz ist ein Musikstil, der den Musikern – in diesem Falle die Schüler – ganzheitlich beansprucht. Jazz umfasst einerseits eine Reproduzierbarkeit, also das Spielen anhand von vorgegebenen Noten und Arrangements. Andererseits lebt diese Musikform vor allem auch von der Improvisation, dem Ausprobieren. Dieser Freistil ist auch für die Schüler sehr wichtig.

Inwiefern?

Beim Jazz steht die Kreativität im Vordergrund. Seine eigenen Bedürfnisse auszuleben fordert aber auch eine intensive Beschäftigung mit diesem Musikstil. Durch das Ausprobieren lernen die Schüler ihre eigenen Ausdrucksformen zu finden und auch passend zum Rhythmus umzusetzen. Dabei lernen sie auch, dass zum Spielen eines Instruments immer auch Disziplin und Ausdauer gehören. Gerade wenn man in der Gruppe oder in der Big Band spielt.

Jetzt mal ehrlich: Finden Ihre Schüler Jazz eigentlich „cool“?

Ich würde jetzt nicht behaupten, dass alle Schüler in unseren Bläserklassen durchweg Jazzfans sind. Aber alles, was irgendwie groovt, kommt bei den Jugendlichen immer gut an. Klar werden die meisten in ihrem Musikgeschmack hauptsächlich durch die Popsender und die aktuellen Charts gesteuert. Aber auch dort scheint Swing derzeit wieder verstärkt im Kommen zu sein. Roger Cicero ist da ein Beispiel. Dieser Trend beeinflusst die Schüler und sie beschäftigen sich intensiver mit dem Thema. Besonders die älteren Swing-Stücke wie von Duke Ellington spielen sie sehr gerne und schlagen auch selbst Songs vor.

Wie führen sie die Schüler an den Jazz heran?

Zum Jazz gehört immer eine gewisse Reife, sich der Herausforderung zu stellen, frei zu improvisieren. An dieses Ziel führe ich die Schüler ganz langsam heran, indem ich versuche, sie vom Gehalt dieser Musik zu überzeugen. Dazu zählt, dass ich Ihnen sehr gute Jazz-Nummern anbiete und sie verschiedene Genres ausprobieren lasse. Nicht jedes Stück kommt auch gut an bei ihnen. Als Lehrer muss ich natürlich auch eine gewisse Sensibilität aufbringen für die Vorlieben und möglichen „Hits“ bei den Schülern. Gerade während der Pubertät ist das nicht immer so einfach.

Diskussion „Jazz in the classroom – wie steht es um den Jazz an Allgemeinbildenden Schulen?“: heute, 14–15 Uhr, Congess Centrum Bremen