venedig, biennale etc.
: Es wird voll

Wieder etwas dazugelernt. Wer dieses Jahr nach Venedig zur 52. Biennale der Kunst fährt, der soll mit „den Sinnen denken und mit dem Geist fühlen“. Auf diese Formel hat der Kunsthistoriker und Kurator Robert Storr, der für die Themenausstellung zuständig ist, sein Programm gebracht. Etwas bange wird einem bei dem Motto schon, das auch gut für ein ayurvedisches Kochwochenende passen würde. Ist es wirklich so schlimm um die Kunst bestellt? Warum muss sie für ganzheitliches Wahrnehmungsgeschwafel herhalten, wo man eher über ein bisschen mehr Schärfe in ihren visuellen, politischen oder überhaupt intellektuellen Belangen froh wäre?

Aber dann hat Storr doch noch gut sortierte Gedanken bei seiner Pressekonferenz in der italienischen Botschaft in Berlin. Weil Kunst aus Afrika zwar viel auf Panels diskutiert, aber selten ausgestellt wird, hat er einen Pavillon eingerichtet, der sich dem Kontinent widmet. Und weil sich in der Türkei als Nadelöhr zwischen dem Westen und der arabischen Welt einiges tut, gibt es auch zu türkischer Kunst einen Schwerpunkt. Ansonsten ergeht es Storr allerdings wie dem Hasen mit dem Igel: Sosehr er sich ins Zeug legt, der Markt ist immer schon vor ihm da. Dieses Jahr soll es parallel zur Biennale eine Messe in Venedig geben, ohnehin ist das Get Together in den Giardini für die Sammlerkundschaft bloß ein Aperitif vor der Messe in Basel.

Auch auf der Ebene der nationalen Repräsentanzen rotiert der Betrieb gewaltig: 77 beteiligte Länder sind nicht bloß Biennale-Rekord, für über ein Fünftel von ihnen – darunter Afghanistan, Marokko, die Ukraine oder die Mongolei – stehen drei Monate vor dem Start nicht einmal die Standorte fest. Dieses unbedingte Dabeiseinmüssen zeigt, wie stark Venedig immer noch als Aufmerksamkeitsfenster funktioniert, durch das die Welt auf zeitgenössische Kulturproduktion blickt. Insofern wäre es erfreulich gewesen, hätte Storr ein Korrektiv für diese blinde Logik der Diversifikation gefunden. Doch auch er trumpft lieber mit seiner Auswahl von 100 Künstlern auf. Es wird also vor allem voll werden in Venedig, wie gehabt. HARALD FRICKE