An allen Fronten zu Hause

Der erfahrene Reporter Daniele Mastrogiacomo (52) hat sich für „La Repubblica“ nach Afghanistan gewagt und ist den Taliban in die Hände gefallen. Sein Schicksal ist derzeit völlig ungewiss FOTO: AP

Afghanistan, Blutbad unter Zivilisten nach dem Attentat“. Daniele Mastrogiacomo hatte seinen letzten Artikel für La Repubblica aus seinem Hotel in Kandahar abgesetzt. Vorigen Montag wurde der Text, der eindrucksvoll die hasserfüllte Stimmung der Afghanen gegenüber den US-Truppen schildert, zum Aufmacher der römischen Tageszeitung, und am gleichen Morgen saß Mastrogiacomo schon im Auto, auf dem Weg zu seinen Entführern.

„Ich mache jetzt was Schönes, ich habe ein wirklich wichtiges Treffen.“ Mit diesen Worten soll er sich im Hotel verabschiedet haben. Noch am Vortag hatte er in einer TV-Schaltung von einem „heiklen Treffen“ gesprochen: „Während du mit dem Auto unterwegs bist, kriegst du einen Anruf, ‚nächste Straße rechts‘. So werde ich sie sehen“. Sie – das waren Taliban-Führer aus dem Süden, die Mastrogiacomo interviewen wollte, begleitet von zwei Afghanen mit hervorragenden Kontakten zu den Mullahs.

Mastrogiacomo legt viel Wert auf die richtigen Kontakte, um unnötige Risiken zu vermeiden. Ebenso mutig wie umsichtig, so schildern alle Kollegen den Reporter, der in den vergangenen Jahren auf allen Kriegsschauplätzen im Nahen und Mittleren Osten unterwegs war, im Irak, in Somalia, im Südlibanon, vorigen Sommer während des Kriegs zwischen Israel und den Hisbollah und jetzt wieder in Afghanistan.

Geboren vor 52 Jahren im pakistanischen Karatschi – sein Vater arbeitete dort als Ingenieur – spricht Mastrogiacomo perfekt Englisch. Diese Tatsache und seine blonden Haare mögen seine Entführer irregeführt haben; sie meldeten anfangs, sie hätten einen britischen Journalisten gefangen. Vorgestern korrigierten sie sich; in einer angeblich von Taliban-Militärführer Mullah Dadullah stammenden Tonbandbotschaft hieß es, der Italiener und seine zwei Begleiter seien als Spione für die Briten unterwegs gewesen. In der Redaktion der Repubblica halten seine Kollegen dagegen, Mastrogiacomo sei „ausschließlich ein Journalist, im Dienst seiner Zeitung und ihrer Leser“. In der Tat fällt es schwer, sich den Vollblutreporter als Auftragstäter vorzustellen. Seit 1980 bei seinem Blatt, war er zunächst an ganz anderen Fronten unterwegs. So verfolgte er seit 1992 über Jahre hinweg die Korruptionsskandale, die die italienische Politik erschütterten, aber auch den Prozess gegen den deutschen Nazi-Kriegsverbrecher Erich Priebke. Erst in den letzten Jahren mutierte er zum Kriegsreporter. Die Risiken des Berufs waren ihm nur zu bewusst. Im Sommer 2004 wurde sein Fahrzeug in Bagdad beschossen. Mastrogiacomo zeigte sich Freunden gegenüber sicher: Der Überfall war ein gescheiterter Entführungsversuch. MICHAEL BRAUN