Hemmungslose Selbstvermarktung

AUSSTELLUNG Seinen 100. Geburtstag hat der italienische Künstler Guglielmo Achille Cavellini zwar nicht mehr erlebt, aber immerhin noch vorbereitet. Die Weserburg zeigt noch bis Ende des Monats eine Werkschau

Seine Briefwechsel mit berühmten Verstorbenen hat Cavellini ebenfalls publiziert; einer der interessantesten dürfte der zwischen ihm und Vincent van Gogh sein

VON RADEK KROLCZYK

Guglielmo Achille Cavellini wäre sauer gewesen: Das Jahr 2014 hat seine Mitte überschritten, die Tage werden wieder kürzer, und niemand hat an seinen 100. Geburtstag gedacht. Stattdessen reden alle nur vom Ersten Weltkrieg, der sich nun leider ausgerechnet im großen Cavellini-Jahr zum 100. Male jähren muss.

Es ist also ein großes Glück, dass wenigstens das Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg an Cavellini gedacht hat und ihn nun posthum mit einer großen Ausstellung ehrt. „Nemo Propheta in Patria“ ist der Titel – auf Deutsch: „Der Prophet im eigenen Lande“. Und das ist durchaus programmatisch zu verstehen. Denn zu der gewünschten Popularität hat Cavellini es nie gebracht, schon gar nicht im eigenen Land.

Cavellini wurde 1914 im norditalienischen Brescia als Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte er sich als Sammler abstrakter Malerei einen Namen. Bald darauf begann er selbst, abstrakt zu malen. In den Siebzigerjahren hatte Cavellini von der elitären Hochkultur die Nase voll, wie Co-Kuratorin Bettina Brach erzählt. Er begann, seine eigene Person in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Aktivitäten zu stellen und die Selbsthistorisierung voranzutreiben.

Seit den Achtzigerjahren hat Cavellini immer und überall, auf Plakaten, Aufklebern und Postkarten versucht, das Ereignis seines 100. Geburtstags präsent zu halten. Für das Jahr 2014 hatte er eine große Ausstellung zu seinen Ehren geplant. Ausgerechnet im venezianischen Fürstenpalast sollte die Jubiläumsausstellung gezeigt werden. Cavellini hatte das Ereignis sehr konkret vor Augen: Es gibt eine Fotocollage, die den prächtigen Renaissancepalast mit einem gigantischen Transparent zeigt, das die Megaschau ankündigt.

Das Interessante an Cavellinis Werk ist in der Tat sein Hang zur maßlosen Selbstvermarktung. Er warb mit seinem Konterfei und seinem Namen, den er zu dem Markennamen GAC zusammenzog, für nichts anderes als nur für sich selbst.

Bereits Künstler wie Andy Warhol oder Wolf Vostell hatten sich verschiedener Mittel der Werbung bedient, sie zur Kunst erhoben oder im künstlerischen Prozess zerstört. Cavellini hingegen scheint keine bestimmte Haltung gegenüber der Produktwerbung zu verfolgen. Er nutzt sie schlicht für seine eigenen Zwecke.

Eine ganz besondere Präsenz hatten seine kreisrunden Aufkleber. Vor den Farben der italienischen Trikolore wirkt sein Name wie der eines Präsidentschaftskandidaten, wenn nicht gar Präsidenten.

Diese Aufkleber verschickte er in alle Welt. In der Bremer Ausstellung tauchen sie in diversen Variationen auf. So überklebte er etwa seine gesamte Kleidung mit Stickern, ließ sich so ablichten und die Fotos wiederum auf Aufkleber drucken. Selbstvermarktung ist wie jede Form der Vermarktung zutiefst redundant.

Ein anderer Aufkleber zeigt den Schlachtplan eines Rindes. Warhol ist die Lende, Kandinsky der Nacken, Beuys nicht mehr als ein Eisbein – Cavellini jedoch ist das Filetstück.

Der Sticker ist heute noch, 24 Jahre nach Cavellinis Tod, in Italien weit verbreitet, allerdings nur als Reprint. Auch von den T-Shirts, Büchern und Plakaten, die er in riesigen Mengen in Umlauf brachte, ist heute kaum noch etwas erhalten. Auch das ist ein Effekt der Überschwemmung mit Material. Wer sammelt schon die Postwurfzettel von Butterfahrtsanbietern? Cavellini ist folglich mit seiner Strategie grandios gescheitert.

Cavellini war ein Pionier in der künstlerischen Verwendung von Massenmedien. Für die Verbreitung seiner Werbeträger benutzte er gern den Postweg. In den Siebzigerjahren entstand eine weltweit gut vernetzte Mail-Art-Szene, und Cavellini verschickte seine selbstherrlichen Aufkleber in alle Welt. 1978 versandte er seine Ego-Propaganda an 1.500 Empfänger.

Zur Mail-Art gehörte auch die künstlerische Gestaltung von Postutensilien. Cavellini gestaltete eine ganze Reihe inoffizieller Briefmarken – auf denen natürlich ebenfalls stets er selbst zu sehen war. Oftmals ist die künstlerische Bearbeitung doppelt. Eine seiner Marken zeigt sein Portrait in einer Weise, wie man sie von Andy Warhol kennt. Eine andere zeigt sein gezeichnetes Bild nebst einem von Paul Cézanne – in dessen Stil.

Besonders die Toten unter den Großen der Kunstgeschichte hatten es ihm angetan. Seine Briefwechsel mit berühmten Verstorbenen hat er ebenfalls publiziert; einer der interessantesten dürfte der zwischen ihm und Vincent van Gogh sein.

Einer von Cavellinis Brieffreunden war der Belgische Sammler und Kurator Guy Schraenen. Dessen „Archive for small press & communication“ ist vor einigen Jahren in den Besitz des Studienzentrums für Künstlerpublikationen übergegangen. Schraenen hat hier von Künstlern gefertigte Briefe, Bücher, Schallplatten, Flyer und Einladungskarten gesammelt. Diese hatte er im jahrzehntelangen persönlichen Austausch mit Künstlern zusammengetragen, darunter publizierte Kunstwerke der wichtigen Künstler der zweiten Hälfte der 20. Jahrhunderts wie zum Beispiel Christian Boltanski, Dieter Roth, Sol LeWitt, John Cage und Dick Higgins. Cavellini ist auch darunter. Und feiert noch bis zum Ende des Monats seinen Geburtstag.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K Strich in Bremen

Bis 31. August, Neues Museum Weserburg (Teerhof 20)