Massengräber in der Milizenhochburg

ELFENBEINKÜSTE Im westivorischen Duékoué haben Kämpfer des Präsidenten Ouattara bei ihrem Vormarsch wohl Hunderte von Menschen umgebracht. Sie sagen, die Opfer waren Gbagbo-Milizen. Menschenrechtler sprechen von einer „Völkermordtat aus Rache“

■ In Teilen der ivorischen Metropole Abidjan tobten am Wochenende weiter heftige Kämpfe zwischen den Truppen des Präsidenten Alassane Ouattara und den bewaffneten Anhängern des Expräsidenten Laurent Gbagbo. Letztere verteidigten nach wie vor den Präsidentenpalast und die Gendarmeriekaserne Agban, in der Gbagbo vermutet wurde. Im Stadtteil Cocody, wo sich Gbagbos Residenz, Ouattaras Hauptquartier und zahlreiche Botschaften befinden, lagen nach Augenzeugenberichten zahlreiche Leichen auf der Straße. Aufrufe des Gbagbo-Lagers an „patriotische“ Milizen, sich massiv auf den Brücken einzufinden, die das Stadtzentrum vom Südteil der Stadt mit Flughafen und UN-Basis trennen, wurden am Samstag nur gering befolgt. UN-Truppen töteten bei einem Gefecht fünf Gbagbo-Kämpfer. Frankreichs Armee übernahm die Kontrolle über den Flughafen von Abidjan und verstärkte ihr Militärkontingent in Abidjan von 900 auf 1.400 Mann. (afp, taz)

VON DOMINIC JOHNSON

Waren es 330 Tote, wie die UN-Mission in der Elfenbeinküste (Unoci) in einer vorläufigen Bilanz errechnet? Waren es über 800, wie das Internationale Rote Kreuz (IKRK) erklärt? Auf jeden Fall ist die Stadt Duékoué im äußersten Westen der Elfenbeinküste vor einer Woche Schauplatz von Massakern gewesen. Die Unoci spricht von „Kriegsverbrechen“ und verspricht eine Untersuchung. Und die Ouattara-Armee FRCI (Republikanische Streitkräfte der Elfenbeinküste), die inzwischen fast das ganze Land kontrolliert, hat ihr erstes großes Problem: Die Mehrheit der Toten geht offenbar auf ihr Konto.

Duékoué war die erste größere Stadt im Gbagbo-kontrollierten Süden der Elfenbeinküste, die an die Ouattara-Armee FRCI fiel, nachdem sie im März begann, aus dem Norden des Landes über die seit 2003 geltende Waffenstillstandslinie nach Süden vorzurücken. Die Einnahme von Duékoué am 29. März war das Signal, dass es der FRCI nicht mehr nur um lokale Scharmützel ging, sondern um eine landesweite Offensive. Die mehrere zehntausend Einwohner zählende Hauptstadt des Bezirks Moyen-Cavally wurde besonders heftig von den Gbagbo-Streitkräften verteidigt, und die Ouattara-Truppen mussten hier besonders gewaltsam vorgehen. Aber danach leisteten Gbagbos Soldaten keinen Widerstand mehr gegen Ouattaras Armee, bis es schließlich zum finalen Showdown in Abidjan kam.

In Duékoué standen sich nicht einfach zwei Armeen gegenüber, sondern die Volksgruppen der Region. Duékoué liegt nahe der Grenze zu Liberia, und in den Bergwäldern im Westen der Elfenbeinküste ist der ivorische Bürgerkrieg seit 2002 dem Liberias sehr ähnlich gewesen, mit mystisch angehauchten Milizen und ethnischen Vertreibungen. In Duékoué sammelte sich die Gbagbo-treue „patriotische“ Miliz FLGO (Befreiungsfront des Großen Westens), die sich vor allem aus dem lokalen Guéré-Volk rekrutierte. Die Guéré-Kämpfer sahen die aus anderen Landesteilen eingewanderten Kakaoplantagenbesitzer der Region samt ihren Gastarbeitern aus anderen westafrikanischen Ländern als Fremde, die den lokalen Bauern das Land wegnehmen.

Die FLGO unter dem traditionellen Guéré-Führer Maho Gloféi verteidigte das westivorische Kakaogebiet zu Kriegsbeginn 2002 mit diskreter französischer Unterstützung gegen die Rebellen aus dem Norden, indem sie Angehörige anderer Volksgruppen unter Generalverdacht stellte und jagte. Die FLGO-Milizionäre und die mit ihr verbündete „Alliance Patriotique“ hatten ihre Hochburg im Stadtteil Carrefour; ihre Feinde, vor allem Malinke und Westafrikaner, lebten im Stadtteil Kokoma. Bei den Wahlen vom November 2010, bei denen Gbagbo seine Niederlage gegen Ouattara nicht anerkannte, war Duékoué gespalten, und bereits zum Jahreswechsel 2010/11 gab es in der Stadt schwere Kämpfe mit Dutzenden Toten, nachdem Guéré-Milizionäre eine Händlerin des nordivorischen Malinke-Volkes töteten.

Ab Mitte März rückten die nordivorischen Rebellen, nunmehr von Ouattara zum Hauptbestandteil seiner Armee FRCI ernannt, im Gebiet nahe der Grenze zu Liberia vor. Die Gbagbo-treuen Milizionäre holten sich Verstärkung aus Liberia und bauten Duékoué zur Frontstadt aus. „Duékoué kann nicht fallen, das ist nicht möglich, das ist nicht einmal denkbar“, ließ sich noch am 29. März der lokale Gbagbo-Armeekommandant Célestin Koffi in der Abidjaner Zeitung Nord-Sud zitieren.

In den Tagen zuvor hatten FLGO-Milizionäre das Lager des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Duékoué geplündert, Fahrzeuge von „Ärzte ohne Grenzen“ gestohlen und Häuser von Nord- und Zentralivorern angezündet. Die „Internationale Organisation für Migration“ meldete massive ethnische Pogrome. Aus dem Dorf Bedi-Gouzan meldete „Human Rights Watch“ ein Massaker an mindestens 27 Einwanderern aus Mali durch Milizen am 22. März; die Angreifer seien mit automatischen Gewehren, Raketenwerfern und Macheten bewaffnet gewesen, hieß es. Zehntausende von Menschen flohen nach Liberia. Tausende suchten Schutz auf dem Gelände der katholischen Mission von Duékoué. Die Zahl der Flüchtlinge dort sollte in den Kriegstagen auf 40.000 steigen.

„Holzhütten stehen in Flammen. Rauch steht über der Stadt“

EIN REPORTER AUS DUÉKOUÉ

Im Morgengrauen des 28. März, ein Montag, rückten FRCI-Einheiten unter dem kriegserfahrenen Rebellenkommandanten Lossani Fofana in Duékoué ein. Sie stießen an mehreren Fronten gleichzeitig vor, nahmen die von ihnen als „Söldner und Milizionäre“ bezeichneten Gbagbo-Kämpfer in die Zange. Es habe viele Opfer gegeben, berichteten Ouattara-treue Zeitungen am nächsten Tag. Die Guéré-Milizionäre wüteten im Gegenzug im Migrantenviertel Kokoma. Dort wurde der lokale Imam getötet, Häuser angezündet und ausgeplündert. Die Gewalt dauerte den ganzen Tag. Am Morgen des 29. März übernahmen die FRCI-Einheiten die komplette Kontrolle über die Stadt, die Gbagbo-Kämpfer und Milizen ergriffen die Flucht.

Präfektur, Unterpräfektur, Steuerbehörde, Stadtkasse und die Häuser der Gbagbo-Wahlkampfleitung in Duékoué seien von den „neuen Herren“ geplündert worden, berichtete zwei Tage später die Zeitung Fraternité-Matin in Abidjan. Das war wohl noch das Geringste. Die Ouattara-Kämpfer besetzten das FLGO-Milizenquartier „Colombo“ und separierten die Frauen und Kinder von den Männern, dann wurden die Männer beiseitegeführt und hingerichtet, so berichtet jetzt die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission (Unoci) unter Berufung auf „vorläufige“ Berichte. Man habe 130 Leichen in zwei Massengräbern entdeckt. Weitere 200 Tote seien von den Straßen eingesammelt worden.

So kommt die Unoci auf 330 Menschen, die zwischen Montag, 28. März und und Mittwoch, 30. März, in Duékoué getötet worden seien; rund 100 davon gingen laut UN auf das Konto der Gbagbo-Milizen, der Rest auf das Konto der Ouattara-Armee FRCI. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) kommt auf über 800 Tote allein am 29. März und nennt als Ursache „interethnische Gewalt“. Das katholische Hilfswerk Caritas spricht sogar von „über 1.000“ Toten. Die katholische Kirche der Elfenbeinküste gilt als eher Gbagbo-treu. Die FIDH (Internationale Föderation der Menschenrechtsligen) sagt, in Duékoué seien seit der Wahl im November insgesamt mindestens 800 Menschen getötet worden. Am 29. März habe es aber „gezielte Hinrichtungen von Personen der Guéré-Ethnie im Stadtteil Carrefour“ gegeben.

Die genaueste Zählung der Opfer von Duékoué stammt von der Ivorischen Menschenrechtsliga (LIDHO): 816 Tote männlichen Geschlechts, das jüngste davon ein dreijähriges Kind. Diese Zahl komme zusätzlich zu den „sehr vielen zuvor registrierten Toten“, präzisiert LIDHO und erklärt: „Die jüngsten Massaker in Duékoué ähneln einer Völkermordtat, verübt auf einem Hintergrund von Rache“. Auch Gbagbos Milizen hätten Massaker begangen, beispielsweise in der Stadt Guiglo.

Das Ouattara-Lager äußert sich widersprüchlich. Ein Sprecher der FRCI-Streitkräfte erklärte, die Toten von Duékoué „waren Milizionäre, keine Zivilisten“. Die Regierung Ouattara wies in einer Erklärung jede Verantwortung ihrer Streitkräfte für Tötungen an Zivilisten zurück und sagte, ihre Armee habe in anderen Städten zahlreiche Massengräber von Opfern der Gbagbo-Milizen gefunden. Seit den Wahlen im November bis zum Beginn der FRCI-Offensive wurden laut UNO in der Elfenbeinküste über 460 Menschen Opfer politischer Gewalt, zumeist getötet von Gbagbo-Streitkräften.

Berichte aus dem Ouattara-Lager bestätigen Tötungen in Duékoué. Auf der Ouattara-nahen Webseite „Lebanco“ steht der Bericht eines Reporters über den 30. März, als erstmals ein Minister der Ouattara-Regierung Duékoué besuchte, zu Reggaemusik des Ivorers Alpha Blondy die Befreiung feierte und die Bevölkerung zur Versöhnung aufrief.

UNO fand 130 Leichen in zwei Massengräbern, weitere 200 Tote auf der Straße

„Drei leblose Körper sind gut sichtbar auf der Einfallsstraße, nach der Brücke, die zum Krankenhaus führt“, schreibt der Reporter. „Sie scheinen beim Fluchtversuch niedergemäht worden zu sein. Sie sind jung, tragen Zivilkleidung. Nicht weit, gegenüber der Wasser- und Waldbehörde, verpesten zwei weitere Leichen die Luft. Auch sie sind in Zivil. Vor ihnen hat ein Militärwagen abrupt halten müssen, er hat die Reifen verloren und ist nur noch Schrott. Ein stämmiger junger Mann, die Zähne rot vom Drogenkonsum, ein Auge geschwollen, liegt darin auf der Seite. Er trägt die Uniform der Anti-Aufstands-Brigade.“

Dann beschreibt der Reporter das Guéré-Viertel Carrefour, wo die Milizen lebten: „Die Holzhütten stehen in Flammen. Schwarzer Rauch steht über der Stadt. Die Fassaden an der Hauptstraße sind voller Einschlusslöcher, die Fensterscheiben zerbrochen, Zeichen des Leids der Menschen, die dort schliefen. Es herrscht Trostlosigkeit und auch Angst.“

Das marokkanische UN-Blauhelmkontingent in Duékoué griff übrigens zu keinem Zeitpunkt ein. Die Gewalt in der Region dauert an. „Die Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen in den wichtigsten Städten sind seit 31. März beendet, aber neue Verwundete strömen weiterhin nach Danané, Man und Bangolo“, berichtete am Sonntag das Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“. Seit 29. März hätten 195 Menschen mit Schuss- oder Machetenwunden Behandlung gesucht. „Die Lage ist weiterhin extrem angespannt.“