EMANZIPATIONSFRAGEN
: Ohne BH

Sie war gerade nicht im „Affärenmodus“

Die Schönwetterperiode hatte begonnen, es war ein linder Abend. Wir saßen in einer kollektivgeführten Kaschemme in der O-Straße und harrten der Dinge. Ich hatte in einem dieser linken Revolverblätter herumgelesen, ein Fehler, denn ich war über einen Aufklärungsartikel über Fragen der Emanzipation und machohaftes Verhalten gestolpert. Er hatte mich verunsichert. Ich wusste ja nicht, wie das bei echten Straßenlinken so funktionierte zwischen Frau und Mann. Ich war kein Szenelinker. Ich war höchstens Salonsozialist und stolz darauf.

Aber ach, schon Stolz ist ja ein verfemtes Gefühl, vermutlich zu Recht. Von feministischen Ansätzen hatte ich mich in der Welt der Praxis nachhaltig von antifeministischen Frauen vergraulen lassen. Auch die Grundlagen überzeugten mich nicht mehr. Die Wirtschaft, die Arbeitswelt mochte immer noch hochgradig patriarchalisch strukturiert sein; in der Freizeitgesellschaft sah das alles ganz anders aus.

Ein schwieriges Thema. Die junge Dame neben mir mokierte sich auch sofort über eben diese Bezeichnung: „junge Dame“. Das Wort Diskriminierung stand im Raum. Mit Ironie und Postmoderne kam man jetzt und hier nicht weiter. Die junge Dame trank punkkreditierte Plörre, trug einen Ohrring und nicht zwei und keinen BH. Was mir natürlich sofort aufgefallen war. Sie erzählte von „Antiimpis“ und dass die Welt schlecht sei, und ja, das war sie. Meinen demokratischen Optimismus teilte sie nicht. Sie hatte einen schönen, kussechten Mund. Ich bekam Schweißausbrüche und einen Panikanfall.

Als ich micht wieder entspannte, weil hier sowieso nichts passieren würde – sie war gerade nicht im „Affärenmodus“ –, traute ich mich, nachzuhaken. Ob sie aus politischen Gründen keinen BH trug? Nein, sagte sie, sie möge einfach keine BHs. Dann redeten wir weiter über das Elend der Welt. RENÉ HAMANN