schurians runde welten
: Ihr schlaff Unterdrückten

„Wir wollen die Qualität der Mannschaft weiter verbessern, ohne dass wir vom Weg der Vernunft abweichen.“ (Erwin Staudt, VfB)

Ich will es nicht beschreien, aber der VfB Stuttgart könnte Meister werden, seiner Fans wegen. Stuttgart, der Fans wegen? Habe ich den Verstand verloren? Den nicht, aber ich mag ihren Auswärts-Chorus, auch deshalb, weil ich die Worte nicht verstehe. Doch dazu später mehr.

Die tonale Endlosschleife, die die VfB-Schlachtenbummler anstimmen, klingt nach einer Weise aus dem Bauernkrieg – roh und verzweifelt wie die Bündler des Armen Konrads vor 500 Jahren. Auch das Wappen, des 1912 als Verein für Ballspiele zusammen fusionierten Clubs, erinnert an den rustikalen Hintergrund: Geheimnisvolle Kratzspuren unter drei Buchstaben in Fraktur – ohne die Reform-Schrift hätte es die Flugblätter der Aufständischen kaum gegeben.

Aber was die VfB-Fans da singen? Keine Ahnung. Ich konnte immer schon schlecht hören, was Fans brüllen. Als ich noch in den Kurven mitmischte, sang ich, „ihr schlaff Unterdrückten oder in der Bahnhofsmission“ und hatte keine Ahnung, warum. Am Samstag habe ich mich im Stadion das erste Mal verlesen.

Im Block der Dortmunder sah ich ein gelb-schwarzes Transparent, als beide Teams aufliefen. Ich las R.I.P, dann ein M, ein E und die Endung TZE und machte mir meinen Reim darauf. Weil Dortmunds Nationalspieler Christoph ‚Metze‘ Metzelder gerade bekannt gegeben hatte, den Verein im Sommer zu verlassen, wollten einige ihren Verteidigerstar symbolisch beerdigen. Weil mir das so logisch wie symbolisch schien, schrieb ich darüber sogar in der Zeitung. Jetzt muss ich sagen: Wenn ich nicht bereits eine Brille tragen würde, ich müsste mir eine anschaffen: Statt Metze stand dort MATZE, wie mich Leserbriefschreiber berichtigten. Die Sache ist mir auch deshalb höchst peinlich, weil das Transparent an einen verstorbenen Fan erinnerte.

17.3. Schalke – Stuttgart

Immerhin: Matze und die sich ihm erinnern, würde es gewiss große Freude machen, sollte Stuttgart Meister werden oder zumindest auf Schalke nicht verlieren. Obschon noch neun Spiele ins Land gehen, treffen zwei Vereine aufeinander, die schon geplant haben, wie sie einen Titelgewinn feiern. Schalkes Meisterteam würde sich am Rathaus Buer der Menge zeigen. Damit die was sehen kann, müssten noch Bäume gestutzt werden. Und der VfB Stuttgart hat sich den Marktplatz schon einmal vormerken lassen. Auch das hat übrigens historische Gründe: Als Stuttgart 1992 überraschend die Schale holte, war ich unterwegs in der menschenleeren Schwabenmetropole. Ein Passant fragte mich, ob ich die Mannschaft gesehen hätte? Hatte ich nicht. Später schlenderte ich über den Trödelmarkt, der hatte den Meistern ihre Fete verbaut.CHRISTOPH SCHURIAN