„Wir sind so frei, wie wir nie zuvor waren“

ÄGYPTEN Die Revolution hat auch Printmedien geholfen, sagt Journalist Fathy Abou Hatab

■ arbeitet für Ägyptens wichtigste Tageszeitung, Al-Masr al-Youm. Schwerpunkt ist die Vernetzung von Online- und Printinhalten.

taz: Herr Hatab, die Revolutionen in Tunesien und Ägypten wurden häufig als „Facebook“-Revolutionen bezeichnet. Haben die neuen Medien den klassischen Printmedien in der Revolution den Rang abgelaufen?

Fathy Abou Hatab: Keineswegs! Die Auflagen der Zeitungen haben sich seit der Revolution verdoppelt bis verdreifacht. Al-Masr al-Youm, für die ich arbeite, hatte zuvor 250.000 Leser, jetzt sind es 560.000. Vor allem in den Tagen, als die alte Regierung das Internet abgeschaltet hat, sind die Verkaufszahlen sprunghaft gestiegen. Die neuen Leser sind aber auch nach der Revolution dabeigeblieben.

Das klingt wunderbar.

Es ist wunderbar. Aber es stellt uns auch vor ganz neue Herausforderungen: Für interessierte Leser zu schreiben, die nach Information hungern, die aber auch gelernt haben, kritisch zu hinterfragen. Unser großes Problem ist jetzt Qualität, die Ausbildung von guten Journalisten: Wie gelangt man an Informationen, wie bereitet man sie auf? Zuvor war ja eines der Hauptkriterien für eine Einstellung, dass man über Kontakte zu einem Ministerium oder einer Institution verfügte. Und was man wie schreiben konnte, war ja durch Zensur und Selbstzensur stark eingeschränkt.

Wie sah der journalistische Alltag vor der Revolution aus?

Es gab eine rote Linie, die man nicht überschreiten durfte. Seit sich 2004 zunehmend Bewegungen für mehr Demokratie organisierten, waren kritische Journalisten immer dabei, sich an dieser Linie zu bewegen – und versuchten, sie Stück für Stück weiter zu verschieben.

Diese Linie betraf den Präsidenten?

Den Präsidenten durfte man nicht kritisieren. Die wichtigsten Wirtschaftsbosse ebenso wenig. Geschah dies doch, landete ein Brief in der Redaktion, von der Sicherheitspolizei, ohne Kommentar, nur eine Kopie des entsprechenden Artikels, um zu zeigen: Wir wissen, was ihr schreibt. Das ist zuletzt etwa alle zwei Wochen passiert. Und kurz vor der Revolution hatten wir ein technisches Problem, und Kommentare der Leser sind ungefiltert auf die Website gelangt. Der zuständige Redakteur wäre fast gestorben vor Angst, daraufhin verhaftet zu werden. Das Problem hat sich mit der Revolution zum Glück erledigt.

Ist die Presse jetzt frei?

Ja. Wir sind so frei, wie wir nie zuvor waren. Vor allem was politische Berichterstattung betrifft. Natürlich gibt es immer noch Bereiche, in denen man mit der Berichterstattung vorsichtig sein muss, zum Beispiel bei großen Unternehmen. Die versuchen, Falschinformationen zu streuen. Und es gibt ein letztes großes Tabu: das Militär. Da das Militär derzeit auch Polizeiaufgaben wahrnimmt, darf man durchaus darüber schreiben, was es in der Straße macht, dass es Leute festnimmt etwa. Erst recht in den englischen Ausgaben der Zeitungen, die schon immer freier waren als die arabischen. Aber über Interna des Militärs zu schreiben, darüber, welche Interessen es vertritt, das traut sich niemand.

INTERVIEW: JULIANE SCHUMACHER