Kleine Bühne auf großer Fahrt

Das Theater Osnabrück wurde zum Mülheimer Theatertreffen eingeladen und wird sich dort mit Häusern wie dem Hamburger Thalia Theater oder den Münchner Kammerspielen messen. Für die Osnabrücker ist das ein großer Erfolg – und eine Frucht der Arbeit des Intendanten Holger Schultze

Als Holger Schultze vor anderthalb Jahren die Leitung des Osnabrücker Theaters übernahm, konnte er eigentlich wenig falsch machen. Sein Vorgänger Norbert Hilchenbach hatte wenig Spannendes zum städtischen Kulturleben beigetragen und im eigenen Haus, aber auch beim Publikum zuletzt für Ermüdungserscheinungen gesorgt. Ein paar zündende Ideen gegen die einfallslose Spielplangestaltung hätten da vielleicht schon ausgereicht, um die kommunalen Verantwortungsträger davon zu überzeugen, bei der Wahl des Intendanten die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Doch Schultze wollte mehr und initiierte mit seinem Team schon vor dem eigentlichen Amtsantritt im September 2005 ein Festival für zeitgenössisches Theater. „Spieltriebe“ präsentierte dem Publikum ein rundes Dutzend druckfrischer Stücke, erregte überregional Aufsehen und machte das Osnabrücker Theater in der Saison 2005/06 zur Bühne mit den meisten Uraufführungen in ganz Deutschland. Wenig später folgte die Gründung des Kinder- und Jugendtheaters OSKAR, das durch eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen und vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur zum offiziellen Pilotprojekt erklärt wurde.

Der kulturelle Vorstoß der vermeintlichen Provinz blieb nicht lange folgenlos. Die Osnabrücker standen mittlerweile zehnmal auf der Gästeliste renommierter Festivals und sind beim Heidelberger Stückemarkt ebenso vertreten wie auf dem Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen in Berlin, wo Anfang Mai die hochgelobte Kinderoper „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu sehen sein wird. Ende 2006 war man zu einem Theaterfest im russischen Twer eingeladen, für die kommende Saison ist eine Kooperation mit einer Bühne in Bulgarien geplant.

Die mit Abstand spektakulärste Nachricht erreichte Osnabrück allerdings vor wenigen Tagen, als das Theater völlig überraschend eine Nominierung für den Wettbewerb um den berühmten Mülheimer Dramatikerpreis erhielt. Im Mai 2007 stellt sich die Bühne hier mit Dirk Lauckes Schauspiel „alter ford escort dunkelblau“ vor, das mit dem Kleist-Preis für junge Dramatiker ausgezeichnet und in der Hansestadt uraufgeführt wurde. Osnabrück ist nicht nur das einzige niedersächsische, sondern auch das mit weitem Abstand kleinste Theater, das sich in Mülheim zeigen darf und mit den Münchner Kammerspielen, dem Thalia Theater Hamburg, dem Hebbel-Theater Berlin oder dem Schauspielhaus Zürich um den begehrten, mit 15.000 Euro dotierten Preis streitet.

Wer die Auszeichnung am Schluss bekommt, ist für Holger Schultze allerdings zweitrangig: „Für uns bedeutet die Einladung eine ganz große Ehre, mit der doch niemand ernsthaft gerechnet hätte.“ Offenbar auch die Stadtoberen nicht. Oberbürgermeister Boris Pistorius und Kultusdezernent Reinhard Sliwka gratulierten allerdings umgehend. In der aktuellen Diskussion um Sparmaßnahmen, die zahlreichen kommunalen Kultureinrichtungen erhebliche Sorgen bereiten, wird das Theater dem Vernehmen nach vorerst keine Rolle spielen.

Schultze führt den Erfolg in erster Linie auf die gute Teamarbeit zurück. „Wir haben ein tolles Ensemble, eine sehr professionelle Dramaturgie und bei der Auswahl der Stücke und Regisseure ein gutes Händchen gehabt.“ Besondere inhaltliche Schwerpunkte oder gar politische Tendenzen will er aber auch in Zukunft vermeiden. „Wir haben hier einen Gemischtwarenladen, der vielen Bedürfnissen gerecht werden muss. Und eigentlich wollen wir einfach nur gutes Theater machen,“ sagt der Intendant, der die kommende Saison mit seiner eigenen Inszenierung von Verdis „Otello“ eröffnen wird.

Neben den Klassikern gilt die besondere Aufmerksamkeit aber auch in Zukunft den zeitgenössischen Theaterproduktionen. Am 15. April findet die Uraufführung von André Werners Oper „Lavinia A.“ statt, einer modernen Deutung des Shakespeare-Dramas „Titus Andronicus“. Wenige Tage später wird – zeitgleich mit dem Berliner Maxim Gorki-Theater – Nora Mansmanns Schauspiel „herr tod lädt nicht ein aber wir kommen trotzdem“ aus der Taufe gehoben.

Vom 14. bis 16. September gibt es dann in Osnabrück das erste „Zweitaufführungsfestival“ Deutschlands. Auf diesem will das Theater Stücke junger Autoren wie Rebekka Kricheldorf oder Anja Hilling zeigen, die nach der zumeist viel beachteten Uraufführung nicht mehr gespielt wurden. Interessante Abende dürften damit garantiert sein. Thorsten Stegemann