Den Krieg erinnern

„Wir rannten immer weiter, bis in den Tschad“: Human Rights Watch stellt im Jüdischen Museum Kinderzeichnungen und Fotografien aus Darfur vor

VON CLAUDIA WENTE

Riesige Maschinengewehre ragen in den Himmel. Die Gewehre dominieren die Bilder, sie sind größer als die Hälse der Kamele, auf denen die Männer, die die Gewehre halten, sitzen, und sehen realistischer aus als die Menschen und Tiere.

Die Kinderzeichnungen aus Flüchtlingslagern im Grenzgebiet von Sudan und Tschad, die von der Menschenrechtsorganisation Human Rigths Watch derzeit im Jüdischen Museum zu sehen sind, zeigen Bombardierungen aus der Luft und Vertreibungen der Zivilbevölkerung. Davon erzählen auch die Beobachter aus dem Westsudan. Die UN schätzt die Zahl der aus ihren Dörfern Vertriebenen auf zwei Millionen und berichtet von massiven Menschenrechtsverletzungen. Mitarbeiter von Human Rights Watch hatten den Kindern Papier und Kreidestifte gegeben, während sie die Eltern über die Situation in Darfur befragten.

Viele Zeichnungen erklären sich selbst. Ein Reiter feuert auf die Genitalien eines verletzten, schon am Boden liegenden Soldaten. Ganz in Schwarz und Rot ist ein anderes Bild gehalten: schwarz, das waren die Hütten – bevor sie brannten. Der achtjährige Mostafa zeichnet die Fliehenden, Strichmännchen laufen, alle in eine Richtung, die wehenden Haare einer Frau, fünf horizontale Striche, indizieren die Bewegung. „Wir rannten bis zum Wadi“, sagt Mostafa. „Und dann rannten wir bis in den Tschad.“ Andere erhalten erst durch die beigefügten Kommentare der Kinder ihre volle Brutalität. Männer und Frauen, Hand in Hand, das Bild könnte harmlos sein. Doch Mahmud erzählte zu der Zeichnung: „Die Männer dort in Grün nehmen die Frauen und Mädchen. (…) Sie zwingen sie, ihre Frauen zu sein.“

So glaubwürdig die Kinderzeichnungen Kriegsereignisse schildern, ist es doch ein wenig vermessen, sie als das visuelle Dokument schlechthin für die Angriffe der sudanesischen Regierung auf die Bevölkerung in Darfur zu präsentieren. Zwar unterscheiden die Kinder zwischen grünen Soldaten der Regierung, arabischstämmigen Milizen der Dschandschawid mit Pferden und Kamelen und Darfur-Rebellen, doch lassen sich die Menschenrechtsverletzungen nicht einseitig nur einer Gruppe zuschreiben. Human Rights Watch wählte nach Angaben einer Mitarbeiterin die „aussagekräftigsten“ Bilder aus. Die Präsentation zwischen engen Stellwänden, zu denen der Besucher erst gelangt, nachdem er an „Sachsenhausen“ und „Dachau“ vorbeigelaufen ist, tut ihr Übriges.

Die Zeichnungen sollten nicht als „Beweismittel“ instrumentalisiert werden, aber doch als folgenschweres Argument und als das betrachtet werden, was sie sind: Spiegel der Kinderpsyche in Kriegszeiten. Dass sich neben den Bombardierungen und Hinrichtungen auch Paradiesvögel in vielen Farben, ein buntes Fahrrad und Bücher finden, die den Wunsch der Kinder nach Frieden und Bildung ausdrücken, sollte Anlass genug sein, nach einer Verbesserung der Lebenssituation in Darfur zu streben.

Neben den Kinderzeichnungen sind Fotografien aus Darfur des Magnum-Fotografen Paolo Pellegrin ausgestellt. Eine von Leslie Thomas kuratierte Dreifachprojektion zeigt Fotografien namhafter Fotojournalisten wie Lynsey Addario, Hélène Caux und anderen, die heute letztmalig auch zur Musik von Rasha und anderen Musikern zwischen 19 und 22 Uhr die Fassade des Jüdischen Museums bespielen. Die Bilder dokumentieren Szenen aus dem Alltagsleben, Einzelschicksale, aber auch die Zerstörung und Verwüstung der Lebensräume im Westen des Sudan. CLAUDIA WENTE

Bis 9. April 2007, tgl. 10 bis 20 Uhr, heute und montags bis 22 Uhr, Jüdisches Museum Berlin, Lindenstr. 9–14