Die Verschwundenen und die Bebierten

CRIME SCENE Friedrich Ani erzählt in seinem Krimi, der eigentlich gar keiner ist, voller Melancholie und ganz ohne Weltschmerz von „Verschwindungen“

Das Leben von Privatdetektiven ist bekanntermaßen in Wirklichkeit nicht annähernd so aufregend, wie die Lektüre von Kriminalromanen vorzugaukeln pflegt. Statt um die Aufklärung spektakulärer Mordfälle oder finsterer Wirtschaftsvergehen geht es allzu oft nur um die Dokumentierung schnöder Seitensprünge. Wahrscheinlich gehört es zu den Höhepunkten, wenn man mal beauftragt wird, eine vermisste Person wiederzufinden.

So gesehen ist Friedrich Anis neues Buch „Süden“, das man daher gar nicht guten Gewissens einen Krimi nennen kann, wohl ziemlich realitätsnah. Von Verbrechen kann darin keine Rede sein. Es geht um Fälle von „Verschwindung“, wie das schöne Ani-Wort lautet, das der Roman dafür kennt.

Anis eingeführter Ermittler Tabor Süden ist unterwegs, nicht mehr als Kommissar, sondern als Privatermittler, der, zurück in München, von einer Detektei beauftragt wird, einen bereits seit zwei Jahren vermissten Ehemann und Kneipenwirt zu suchen. Süden aber trägt bereits schwer an einem eigenen Verschwindungspäckchen, ist nämlich vor allem deswegen an die Isar zurückgekehrt, weil ihn einer angerufen hat, der sagte, er sei sein Vater, der aus seinem Leben verschwand, als Süden 16 war. Parallel zum Wirt Raimund Zacherl, dem Süden für die Detektei auf der Spur ist, fahndet er daher nach seinem eigenen, vermutlich auf der Straße lebenden Erzeuger, findet nebenbei noch einem Zwölfjährigen die Mutter wieder, die eines Tages auf und davon geht, um sich bei einem fremden Mann in der Wohnung zu vergraben, konsumiert gewaltige Mengen an Alkohol, was dazu führt, dass er oft üppig „bebiert“ durch die Straßen läuft, und hat trotzdem eruptiven Geschlechtsverkehr mit einer großzügigen Edelprostituierten.

Trotz aller äußeren Tatkraft klebt die Schwermut an diesem Süden, der unter anderem intensive Gespräche mit seinem toten besten Freund führt. Doch diese Melancholie ist eine durchaus auszuhaltende, für die Leser mitunter geradezu beglückende, wird sie doch gefiltert und überhöht durch das Medium der Ani’schen Prosa, deren unerschöpflicher Fluss lebenskluger Ironie und sprachlicher Weisheit – sowie umgekehrt – bereits Trost bietet, bevor man Gelegenheit hat, gleichfalls dem Weltschmerz zu verfallen. Na, und wenn schon! Man sollte sich dann ein Beispiel nehmen an Anis Figuren.

Es sind Menschen, die niemals aufgeben (außer, zum Beispiel, Südens toter Freund Martin Heuer, der sich selbst umgebracht hat, oder, natürlich, sein Vater, der den Sohn nach dem Tod der Mutter sich selbst überließ) – immerhin die meisten von ihnen also sind Menschen, die trotz allem nicht aufgeben, der zwölfjährige Junge nicht, der mutterlos allein in einer leeren Wohnung ausharrt, so wenig wie Süden selbst, der so lange nicht loslässt, bis er den vermissten Raimund Zacherl auch tatsächlich findet.

Und im Laufe der langen Suche das Leben eines gänzlich anderen Menschen aufgedeckt hat, eines, der sich so grundlegend von demjenigen unterscheidet, den seine Frau gekannt hat, dass die Verschwindung, wenn man die Geschichte von hinten betrachtet, nahezu zwingend notwenig erscheint.

Eine traurige, aber auch seltsam schöne Geschichte erzählt dieser Roman, der kein Krimi ist, aber mehr tiefe Geheimnisse birgt als so manches lupenreine Genreexemplar. Warum manche Menschen das tun, was sie tun, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel. Und das ist irgendwie auch ganz gut so. KATHARINA GRANZIN

Friedrich Ani: „Süden“.

Droemer Verlag, München 2011, 368 Seiten,

19,99 Euro