die taz vor 17 jahren über den cdu-sieg bei den wahlen in der ddr und das dilemma der spd
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Das Wahlergebnis hat in der DDR eine derartige Beklemmung erzeugt, daß die Behauptung der historischen Opposition, mit dem 18. März sei die Demokratisierung beendet, zumindest die Stimmung trifft. Eher geschockte als frohlockende Sieger und eine gelähmte Opposition. Daß die Stasi-Vergangenheit (bzw. Stasi-Gegenwart) die neuen Volkskammerabgeordneten schon eingeholt hat, bevor sie Platz genommen haben, ist symptomatisch. Auch der Übergang zu einer Übergangsregierung ist eben viel zu schnell.

Die SPD steht zwischen Koalition und Opposition, mithin Pest und Cholera. Als Opposition könnte die SPD kaum der Umarmung der PDS entgehen; die Berührungspunkte – Eigentumsfrage, Verfassung, Sozialcharta – sind für die PDS Themata für eine Einheitsfront von links, die sie forsch angekündigt hat.

Also Koalition? Muß sie nicht in entscheidenden Fragen, z. B. bei der Eigentumsfrage, zurückstecken? Was dann: Die Koalition aufkünden und die nationale Verantwortung aufgeben, unter der sie in die Koalition eintrat? Das realpolitische Dilemma ist unlösbar. Zudem: Da es die erste demokratische Wahl ist, geht es nicht nur um die demokratische Legitimierung der Regierung, sondern auch um die Inauguration des Parlamentarismus. Eine große Koalition mit der SPD würde eine parlamentarische Kultur zerstören, bevor sie begonnen hat. Sie hätte eine verfassungsändernde Mehrheit und alle Entscheidungen würden zwischen Koalitionsausschuß und Bonn ausgehandelt werden. Das Parlament wäre nichts als die Bühne des Protestes und mithin PR-Institution für die PDS. Eine SPD in der Opposition würde dem Parlamentarismus ein Chance geben. Daß die CDU als Blockpartei weder die Personen noch den Geist hat, die alten SED-Apparate zu brechen, ist zwar richtig. Aber ohne parlamentarische Kontrolle werden diese Apparate sich ohnehin nicht zerbrechen lassen. Das realpolitische Dilemma ist auch eine moralische Alternative. Klaus Hartung, 23. 3. 1990