Kein Fall für den Koran

Das deutsche Recht liefert keine Grundlage dafür, dass eine Frankfurter Amtsrichterin unter Berufung auf Suren des Korans die sofortige Ehescheidung einer geschlagenen Frau verweigerte. Ausländisches Recht gilt in Deutschland nur in Ausnahmefällen

Politiker aller Parteien kritisierten das Koran-Urteil gestern scharf. „Wenn der Koran über das deutsche Grundgesetz gestellt wird, kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland!“, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla der Bild. Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte das Urteil. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sieht die Entscheidung allerdings als „Einzelfall“ an. Es gebe immer wieder einzelne Urteile, „die einem völlig unverständlich erscheinen“, sagte Zypries im Deutschlandfunk. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte in N24 hingegen, er befürchte seit langem, „dass wir nach und nach Wertvorstellungen aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland importieren und hier sogar zur Grundlage der Rechtsprechung machen“. Nach Ansicht der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer wird das Rechtssystem sogar „seit langem systematisch von islamistischen Kräften unterwandert“, wie sie Spiegel Online sagte. AFP

VON CHRISTIAN RATH

An deutschen Gerichten gilt in aller Regel deutsches staatliches Recht und nicht die islamische Scharia. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit. Aber die Klarstellung scheint angebracht, nachdem jüngst eine Frankfurter Amtsrichterin Koransuren zitierte, um ihre Rechtsauffassung zu begründen (taz von gestern).

Im konkreten Rechtsstreit gab es jedenfalls keinen Grund, auf den Koran zu verweisen. Eine deutsche Ehefrau wollte von ihrem Mann, der sie schlägt, geschieden werden. Die Frage war, ob sie vor der Scheidung ein einjähriges Trennungsjahr abwarten muss oder nicht. Dieses Trennungsjahr soll Kurzschluss-Handlungen verhindern und sicherstellen, dass nur Ehen geschieden werden, die wirklich zerrüttet sind. Allerdings ist eine sofortige Scheidung dann möglich, wenn die Fortsetzung der Ehe „eine unzumutbare Härte“ bedeutet. Als Härte gelten dabei laut Paragraph 1565 Bürgerliches Gesetzbuch aber nur Gründe, „die in der Person des anderen Ehegatten liegen“.

Solche Gründe lagen hier eindeutig vor. Der marokkanische Mann schlug seine Frau. Das ist nach deutschem Recht eine Straftat. Selbst wenn es nach islamischem Recht ein Züchtigungsrecht des Mannes gäbe, was umstritten ist, kann dies hier keine Rolle spielen. Ebenso wenig, ob dies „im marokkanischen Kulturkreis“ üblich ist. Die Frankfurter Richterin, die aus beiden Gründen eine unzumutbare Härte verneint hat, hat schlichtweg das deutsche Scheidungsrecht falsch angewandt.

Deutsches Scheidungsrecht gilt dagegen nicht, wenn sich zwei Ausländer in Deutschland scheiden lassen. Nach dem internationalen Privatrecht ist dann das Recht des Heimatstaates anzuwenden, bei zwei Marokkanern also das marokkanische Recht. Soweit deutsche Gerichte sich damit nicht auskennen, was die Regel sein dürfte, müssen sie ein Gutachten einholen. Im Einzelfall können dabei auch muslimisch bestimmte Normen angewandt werden, solange nicht die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts – der sogenannte ordre publique – verletzt werden. Ausnahmsweise spielt der Islam im deutschen Recht auch eine Rolle, wenn sich jemand auf seine Religionsfreiheit beruft. So ist muslimischen (und jüdischen) Metzgern das betäubungslose Schlachten von Tieren erlaubt. Ein religiöses Recht, seine Frau zu schlagen, könnte jedoch in Deutschland nie anerkannt werden, weil es den Grundrechten der Frau zuwiderliefe.

Der Frankfurter Amtsrichterin kann allerdings auch nicht vorgehalten werden, sie habe die Grundrechte der Frau völlig missachtet. Vielmehr hat sie die Ehewohnung der Frau zur alleinigen Nutzung zugewiesen und dem Mann untersagt, sich der Wohnung auch nur zu nähern. Aus ihrer Sicht war die Frau damit genug geschützt.

Schon deshalb ist die Forderung nach disziplinarischen Maßnahmen gegen die Richterin zweifelhaft. Außerdem sind Disziplinarmaßnahmen zwar gegen Richter möglich, die betrunken im Dienst erscheinen, aber nicht, wenn Richter umstrittene Urteile sprechen. Insoweit gilt die im Grundgesetz garantierte richterliche Unabhängigkeit. Eine strafbare Rechtsbeugung läge nur dann vor, wenn die Amtsrichterin das Scheidungsrecht vorsätzlich falsch angewandt hätte, wofür es keine Indizien gibt.

Üblicherweise werden falsche Urteile in der nächst höheren Instanz korrigiert. Allerdings war die Einlegung von Rechtsmitteln hier nicht möglich, weil die Amtsrichterin ihre Rechtsauffassung in einem Verfahren zur Prozesskostenhilfe mitteilte und es noch keine Entscheidung gab. Deshalb stellte die Rechtsanwältin der Frau einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Diesem Antrag wurde am Mittwoch nach mehreren Wochen stattgegeben, aber das Verfahren dauerte unerklärlich lange.