Die Gruppe antwortet „Howgh“

Männerkulturtag. Hier sind alle um die 50, Mittelschichtler und hetero. Aus dem Innenleben einer vom Aussterben bedrohten Bewegung

VON JAN ZIER

Nein, kein Softporno. Horst will einen Porno improvisieren, einen richtigen. Keinen mit Handlung oder so. Und Horst darf das. Horst ist die „Geschichtenpolizei“. Und überhaupt sind ja nur Männer in dieser Runde, das ist es ja, und hetero sind sie auch. Sechs Männer, nein, es muss nicht „Herren“ heißen, sechs Männer also stehen hier im Kreis, um Horst herum, den Geschichtenpolizisten. Mann einigt sich auf „Matratzenliebe“ als Titel. Was dann folgt, ist doch eher nur Softcore. Eine Dame namens Jenny spielt darin eine tragende Rolle, dazu eine Matratze, die doll quietscht, und ein Jonny, der zu früh kommt, irgendwie. Das übliche Spiel.

Das übliche Spiel? Improvisationstheater! Wobei, niemand muss hier etwas – ähem – vormachen. Es bleibt ein Wort-Spiel. Sechs Männer stehen im Kreis, wie gesagt, und diese Story entsteht auf Zuruf, Wort für Wort für Wort, Mann für Mann. Nacheinander werden sie vom leicht untersetzten Geschichtenpolizisten scharf angeblickt, müssen sodann die Geschichte um jeweils genau ein Wort voranbringen, jetzt, sofort, auf der Bühne. Das ist Stress. Für eine glibberige Männerfantasie ist da kein Platz. Soll auch keiner sein, nicht in diesem Workshop. Spielen sollen sie, ganz spontan, so wie es die Zurufer gerade verlangen. Orte etwa, wie „Supermarkt“ oder „Herrentoilette“ oder auch mal eine „Inkompatibilität“. Das geht nicht? Gut so! Denn darum geht es: Um den „Spaß am Scheitern“.

Sie haben ihn. Und zünden anschließend auch keine Problemkerze an, trinken keinen Erdbeertee. Mittendrin sollen sie sein, und manchmal doch voll daneben. Risiken eingehen, Grenzen entdecken. Mal aus der Rolle fallen, na ja, eigentlich ja aus der Männer-Rolle, aber die Themen der Geschichten sind doch oft eher „Männerthemen“, wie Impro-Comedian Boris Radivoj das nennt, der Theaterlehrer. „Improvisationstheater ist eine Entwicklungsgeschichte der Menschheit“. Also vorwärts!

Sie sind eben unter sich auf dem „Männerkulturtag“. Gut 70 haben sich vergangenes Wochenende in Bremen zusammengefunden, sie kommen aus Lübeck, aus Flensburg, ja sogar aus dem Dortmunder Raum hierher. Es gibt nur wenige solcher Treffen in der Republik, nur ein größeres, mit 200, 300 Männern an wechselndem Ort; dazu eine Handvoll kleinerer, in Hamburg etwa, in Hannover, in Stuttgart, im Allgäu.

Als in der Runde die Frage aufkommt, wer noch keine 35 ist, stehen gerade mal drei auf. Und kaum einer ist schon im Rentenalter. Früher wäre er zu „so was“ nicht gekommen, sagt einer, der jetzt auch schon graue Haare hat. „Da waren das für mich Weicheier.“ Zu viel „Gefühligkeit“, zu viel Angst – vor Nähe, vor so vielen Männern. Nicht wenige von ihnen sind hier, weil ihre Frauen sie missionierten: „Das wär doch was für dich.“

Fast alle sind zwischen vierzig und sechzig, fast alle haben eine männliche Normalerwerbsbiografie, wie Soziologen das nennen, nicht wenige von ihnen auch Kinder. Sie sind heterosexuell, weiß, Mittelschichtler, haben meist Abitur, und keiner mit Migrationshintergrund kommt hierher. Die wenigsten kennen sich schon von früher, aber alle sind sie per du.

Auch Wolfgang, der Publizist, ist so einer. Er ist eher sechzig als vierzig und auf der Suche nach Kontakt zu Männern. Nein, schwul ist er nicht, das sagt er gleich, aber irgendwie sei es ja doch „elend“, dass echte Freunde fehlten, vor allem welche, die auch mal emotional sind und authentisch. Die einen mögen, von Mann zu Mann, ohne dieses ewige Konkurrenzdenken. Welche, die einen umarmen, statt nur die Hand zu geben.

Wolfgang ist einer, der „in den Kontakt geht“, einer, der auf die Frage nach seinem Glück – als Mann – sogleich die Frau zur Sprache bringt. Doch von Weib und Kind lebt er schon länger getrennt. Und eigentlich müsste er schon tot sein, sagt er. Krebs. Fünf Jahre ist das jetzt her. Aber er wollte sich nie operieren lassen, vor allem seine Prostata behalten, dieser Gefahr entgehen, impotent zu werden. „Wäre ich dann noch ein Mann?“

1984 war Wolfgang noch nicht dabei. Bei den damaligen „Gesundheitstagen“ hat in Bremen einst alles angefangen, mit Sang und Klang, mit Tanz und Atmen, mit Massage und Akkupressur. „Die unendliche Lust der Männer“ nannte sich das, und später beschrieben es einige als das „Bremer Männerwunder“. Gut 400 Männer kamen in die Uni, und wenig später, vor genau 20 Jahren, noch mal so viele – als Männer „ihre Tage“ hatten, mehr als ein ganzes Wochenende lang. Und überwiegend waren es Studenten. Damals.

Studenten, wie auch Carlo einer war. Heute ist er einer der Organisatoren des Männerkulturtags. Anfang 50, aus dem grün bewegten Milieu. Er ist einer, der „pfleglich“ mit der Erde umgehen will, einer, der als Partner „gleichberechtigt“ und als Vater „ganz nah bei seiner Tochter“ sein will. 1977 stieß er zum ersten Mal auf die „Männerbewegung“, 21 war er da und wohnte in Hildesheim in einer WG „mit ziemlich radikalen Feministinnen“. Es ging um Selbsterfahrung, Sexualität, das Rollenverständnis der Männer. Darum, auch mal mit einem anderen Heteromann Arm in Arm durch den Park zu laufen. „Wir haben uns damals mehr getraut.“

Der männliche Zeitgeist hier und heute ist dagegen leichter, spielerischer. Da wird Qi Gong gelehrt, über Arbeitssucht geredet, eine Zwischenbilanz „am Wendepunkt des eigenen Lebens“ gezogen, „Mut zur Vergebung“ geübt. Oder die Selbstwahrnehmung, der Kontakt zum eigenen Körper: Wie atme ich – im Stress und erholt –, wie stehe ich mit den Füßen auf dem Boden, wie fühlt sich Chaos konkret an? Ein Lehrer mit Geheimratsecken und Autoritätsproblemen ist dabei, auch ein Vater mit Heimbüro, der morgens nicht recht mit seinen Kindern klarkommt.

Den Büchertisch haben sie in diesem Jahr abgeschafft. Der „Eisenhans“ lag hier sonst stets noch aus, jene Parabel des amerikanischen Dichters und Rilke-Übersetzers Robert Bly aus den Neunzigern, die aus dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm halb mythische, halb poetische Archetypen destillierte. In der Geschichte von 1850 geht es um einen elternlosen Königssohn, der einen gefangenen „Wilden Mann“ befreit und mit ihm in einen Wald zieht. Nachdem der Junge allerlei Mutproben und Erniedrigungen überstanden hat, darf er – dank des „Eisenhans“ – am Ende die Prinzessin heiraten. Bly entdeckte in diesem Märchen den „inneren Krieger“, den „Magier“, den „Liebhaber“, den „König“ als männliche Archetypen. Denn Männlichkeit, schrieb er, „kommt nicht vom vielen Haferflockenessen“.

Fortan gingen Männer zum Trommeln, Ringen und Grunzen in den Wald, verbrachten die Nächte am Lagerfeuer, schliefen zwischen den Igeln im Unterholz. Der „wilde Mann“ ward geboren, um nicht zu sagen: initiiert. „Aber das ist kein Programm“, befand der Soziologe und Männerforscher Walter Hollstein schon damals, „das ist männlicher Narzissmus, sonst nichts.“

Auch Max ist ihm einst erlegen, ein wenig jedenfalls. 1992 war das, als sein Vater starb, seine Ehe in die Brüche ging, er seinen Job verlor. Da kamen die Männerbewegten gerade recht. Noch im vergangen Jahr hat Max auf dem Bremer Männerkulturtag seine versammelten Artgenossen aufgefordert, „sich mal an den Schwanz zu fassen“. Um sich „zu erden“. Breitbeinig stand er da, blickte die Teilnehmer mit klaren, wachen Augen an, seinem bisweilen etwas stechenden Blick. Vermutlich war er barfüßig, so wie jetzt, und vermutlich trug er etwas wie diese schwarze Cargohose, dieses Batikshirt.

Die Männerbewegung ist zu sehr nach innen gerichtet“, sagt Max heute, „zu wenig politisch.“ Da könnten die Männer vom Feminismus noch lernen. In der Schweiz seien sie da schon weiter. Max ist ein Grüner. Und dreifacher Vater. Ihm geht es um Kinderbetreuung, um Bildung, um flexiblere Arbeitszeiten. Und um Persönlichkeitsentwicklung. „Die Unterschiede zwischen Grünen und Schwarzen sind wichtiger als die zwischen Frau und Mann“, findet er. Inzwischen.

Auch Carlo ist das hier noch „zu wenig politisch“, er denkt selbst bei dem archetypischen „inneren Krieger“ noch an die „Rainbow Warrior“, jenes Greenpeace-Schiff, das einst der französische Geheimdienst versenkte. Carlo möchte gerne „da weitermachen“, wo die Frauenbewegung angefangen hat.

Die Frauen, sagt einer, der mit 43 das erste Mal zum Männerkulturtag gekommen ist, arbeiteten ja schon seit 20, 30 Jahren an sich. „Meine Frage ist die: Wie kann ich ihnen ein natürliches Mannsein entgegensetzen – ohne wieder in alte Klischees gedrückt zu werden?“ Am Ende wird er für sich „eine Verbindung“ entdeckt haben, die er „nie wieder“ loslassen will. Nächstes Jahr wird er wieder hier sein, so wie viele andere auch. Es ist eine treue Gemeinde. Aber vielleicht eine, die früher oder später vom Aussterben bedroht ist. Womöglich, fragt Max, ist das nur so ein Generationending. Eine Erscheinung der Postachtundsechziger. Oder ein Ausdruck männlicher Midlife-Crisis. Max zuckt mit den Schultern.

Die rituelle Schlussrunde mit dem Sprechstab zumindest ist wohl auch auf dem nächsten Männerkulturtag ein Muss. Wie auf einem Altar liegt es da, das hölzerne, jawohl: phallische Ding, inmitten eines Stuhlkreises, neben einer Vase mit drei orangefarbenen Blüten. Wer aufsteht, etwas mit den anderen Männern „teilen“ will, beginnt sein Statement mit einem „Howgh“, und er beendet es auch so. „Howgh“ antwortet dann das Kollektiv. Irgendwie indianisch. „Oder kommt das vielleicht aus Karl May?“, fragt Wolfgang. Da sind sie noch einmal, die Männermythen.

JAN ZIER, Jahrgang 1974, ist Redakteur der taz nord in Bremen