taz vor zehn jahren
: Übereifrige Antifaschisten

Der fehlende Kommentar war ihr Verhängnis: Weil Dagmar Gellert, die Regisseurin von „Torfsturm“, darauf verzichtet hatte, ihrem einfühlsamen Porträt über eine rechtsextreme Jugendclique aus Bremen die moralische Gebrauchsanweisung via Off-Kommentar beizugeben, bekam sie es zur Filmpremiere im Kommunalkino mit der örtlichen Antifa zu tun. Ein Schicksal, das 1992 schon Winfried Bonengels „Beruf Neonazi“ ereilt hatte.

Am 4. November vergangenen Jahres, zur zweiten Aufführung des Films, bekam Dagmar Gellert statt Applaus sogar Spucke ab. Die Antifa-Leute, erzählt sie, wollten die Aufführung verhindern, kreisten die Regisseurin ein, bespuckten sie. Was Dagmar Gellert außer dem Schock noch in unguter Erinnerung hat: Keiner der anwesenden Altlinken im Publikum kam ihr zu Hilfe.

Sechs Monate lang hatte sich die Regisseurin zweimal wöchentlich mit den Jungrechten getroffen, bevor sie die Kamera überhaupt eingeschaltet hat. „Torfsturm“, so nannte sich die Clique, die sich mittlerweile aufgelöst hat. Nette junge Leute in Freizeitkleidung und mit Fönfrisur sind das, solange sie einzeln auftreten. In der Gruppe ist das anders: Da entlädt sich ihr Bedürfnis nach einem Wir-Gefühl, transportiert übers Bier-Gefühl, oft genug in Gewalt. Offene Gewalt sieht man freilich selten in „Torfsturm“, Gellert geht lieber den subtileren Weg und läßt „Engelsgesichter Grauenhaftes erzählen“. Unerträglich, auch ohne Kommentar.

Alexander Musik in der taz vom 26. 3. 1997