Elektroschocks, Schläge und simuliertes Ertrinken

MEXIKO Amnesty-Bericht: Wer in die Gewalt der Polizei gerät, wird vermutlich gefoltert werden

BERLIN taz | Weitverbreitete Folter und Misshandlungen durch Polizisten und Soldaten, 600 Prozent mehr Anzeigen wegen dieser Vergehen als vor zehn Jahren, aber noch immer so gut wie keine Verfolgung der Täter – das ist die Bilanz eines aktuellen Berichts, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Mittwoch zu Polizeigewalt in Mexiko vorgestellt hat.

Mehrere Jahre lang haben Amnesty-Mitarbeiter recherchiert, haben Berichte über Folter und Misshandlungen aus allen Landesteilen zusammengetragen. Opfer und Angehörige berichten von Schlägen, Todesdrohungen, sexueller Gewalt, Elektroschocks und simuliertem Ersticken. Insbesondere in der zum Teil ungewöhnlichen langen Inhaftierungszeit vor einem Haftprüfungstermin seien viele Gefangene der Folter ausgesetzt.

Laut einer von Amnesty in Auftrag gegebenen Umfrage befürchten 64 Prozent der MexikanerInnen, im Falle einer Festnahme Opfer von Folter im Polizeigewahrsam zu werden. „Diese Angst ist leider sehr berechtigt“, erklärt Amnesty-Lateinamerika-Expertin Maja Liebing.

Innerhalb der Sicherheitskräfte herrsche ein Kultur des Wegsehens und der Toleranz gegenüber der Folter, beklagt Amnesty. Allein zwischen 2010 und 2013 habe es bei der Nationalen Menschenrechtskommission über 7.000 Anzeigen wegen Folter und Misshandlungen geben – zwischen 2005 und 2013 seien aber nur ganze 123 Verfahren eingeleitet worden, von denen lediglich sieben mit einer Verurteilung endeten. Das bedeutet: Täter können nahezu vollkommen sicher sein, straffrei davonzukommen. Und Gerichte würden allzu oft aufgrund von Geständnissen urteilen, die unter Folter zustande gekommen seien.

Dabei verzeichnet die Organisation einige kleine Fortschritte: So habe Mexiko per Gesetzesreform 2011 internationales Völkerrecht in die Verfassung aufgenommen. Außerdem sei es über eine Reform der Militär- und der zivilen Strafjustiz inzwischen verboten worden, unter Folter erpresste Geständnisse vor Gericht zu verwenden.

Amnesty empfiehlt unter anderem, die Zeiten vor einer Haftprüfung deutlich zu verkürzen, der Armee jegliche polizeiliche Aufgaben zu entziehen und die zeitnahe Untersuchung von Foltervorwürfen zur Regel zu machen. Von der deutschen Bundesregierung fordert Liebing, das geplante Abkommen zur Sicherheitszusammenarbeit mit Mexiko zu überdenken: „Deutschland darf sich nicht zum Komplizen von Folterern machen.“

BERND PICKERT

www.amnesty.de