Ein Jahr im Labor

HOCHSCHULE In Niedersachsen können Abiturienten ein „Freiwilliges Wissenschaftliches Jahr“ in der Forschung machen. Das soll Naturwissenschaften zu Nachwuchs verhelfen

VON BIRK GRÜLING

Auf dem Flur des Instituts für experimentelle Hämatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover riecht es nach Desinfektionsmitteln. Der Linoleumboden quietscht unter den Sohlen. Vor den Glastüren hängen weiße Kittel, dahinter stehen Zentrifugen, große Kühlschränke und Mikroskope. Hier wird mit Hilfe von Stammzellen nach Ursachen von Leukämie und nach Mitteln für die Heilung gesucht. Bis vor einem Monat waren diese Räume Arbeitsplatz von Vincent Franke.

Mediziner oder Biologe, wie die anderen Mitarbeiter, ist der 20-Jährige nicht. Er forschte hier während seines „Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahres“ (FWJ) an der Medizinischen Hochschule – eingebunden als vollwertiger Mitarbeiter. Vom Gruppenleiter bekam er täglich Aufgaben. Zum Beispiel werden Protein-Ringe in ihre Einzelteile zerlegt, neu kombiniert und in Bakterien eingesetzt. So will man mehr über die Rolle der Eiweiße bei der Entstehung von Leukämie erfahren.

Die Vorbereitung ist Fleißarbeit, aber ein wichtiger Beitrag zur Forschung. „Ich mische Chemikalien, lege Nährböden an oder kümmere mich, um die Vervielfältig von DNA“, sagt Franke. Gestern noch Schulbank, heute Laborkittel.

Gerade am Anfang war das nicht leicht,sagt Franke. Schnell stieß er mit dem Wissen aus dem Bio-Unterricht an seine Grenzen. „Ich konnte mir vor einem Jahr gar nicht richtig vorstellen, wie man überhaupt mit DNA arbeitet“, sagt er.

Zum Glück standen die Institutstüren für Fragen immer offen. So lernte Vincent nicht nur viel über den komplexen Aufbau von Zellen, sondern auch über die wichtige, oft mühsame Grundlagenforschung. Dieser Einblick ist ein erklärtes Ziel des bundesweit bisher einmaligen Pilotprojektes, das seit 2011 läuft. Neben der Medizinischen und Tiermedizinischen Hochschule bieten auch die Leibniz Universität Hannover und das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Braunschweig FWJ-Plätze an.

Die Chance, Wissenschaft aus erster Hand zu erleben, findet großen Anklang. Auf die 80 Plätze bewarben sich zuletzt über 200 Schulabgänger. „Mit dem freiwilligen wissenschaftlichen Jahr erhalten junge Leute bereits vor dem Studium Einblick in die Praxis“, sagt Niedersachsens Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne). Sie erhielten Einblicke in Bereiche, in die sie sonst nicht kommen würden. „Wir wollen junge Menschen für Wissenschaft und Forschung begeistern“.

Auch Franke hatte nach dem Abitur kein klares Studienziel. Biologie, Betriebswirtschaft oder doch Geographie. Nach dem Jahr als Forscher steht seine Entscheidung fest. Der 20-Jährige will Arzt werden. Nach einem Praktikum auf einer Station der Medizinischen Hochschule geht es für ihn in den Hörsaal. Die Erfahrungen aus dem Jahr als Forscher werden ihm dabei sicher helfen.

Diese positiven Erfahrungen haben auch die niedersächsische Landesregierung zum nächsten Schritt bewogen. Das Projekt soll auf das ganze Bundesgebiet ausgeweitet werden. Ein entsprechender Antrag dafür wurde bereits in den Bundesrat eingebracht. Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr wäre so mit dem ökologischen und sozialen gleichgestellt. Wenn alles klappt, könnten schon im Sommer 2015 bundesweit Forschungseinrichtungen ihre Tore für Schulabgänger öffnen. Ganz uneigennützig sind diese Bestrebungen nicht. An den Hochschulen hofft man, durch eine bessere Orientierung mehr Studenten für naturwissenschaftliche Fächer zu begeistern und gleichzeitig die Abbrecherzahlen zu senken.

Informationen unter www.mh-hannover.de/26265.html