Das Glück des Gartenbaulehrers

KRAUTLEARNING Schulgärten gehören zum integrativen Konzept der Waldorfschulen. Zwischen den Beeten lernt man mehr als nur das Anbauen von Obst und Gemüse

VON HEIDE REINHÄCKEL

Herbstzeit ist Erntezeit. Die erste Schulwoche stand auch für Gartenbaulehrerin Birte Kaufmann an der Waldorfschule Hamburg-Bergstedt in diesem Zeichen – gerade hat sie mit einer 6. Klasse Kartoffeln ausgegraben. Neben dem Kultivieren der Ackerflächen hat die 38-Jährige in den letzten Jahren ein Schreibtischprojekt verfolgt: Anfang Oktober erscheint ihr Buch mit dem Titel „Der Gartenbauunterricht an der Waldorfschule“. Die studierte Landwirtin, die seit elf Jahren in Hamburg als Gartenbaulehrerin arbeitet, bereichert damit ihr Unterrichtsfach mit einem Lehrbuch, das das Schulgärtnern an Waldorfschulen didaktisch aufbereitet und einen Gesamtüberblick über die Zielsetzungen und Methoden des Fachs Gartenbau bietet.

Eine Frage der Vermittlung

Im Lehrplan der Waldorfschulen hat das Fach Gartenbau bereits eine lange Tradition. Seit 1920, einem Jahr nach der Gründung der ersten Waldorfschule auf der Stuttgarter Uhlandshöhe, gehört der Schulgarten zum ganzheitlichen Konzept dazu. Kaufmann betrachtet die Verbindung von gärtnerischem Know-how und pädagogischer Kompetenz als grundlegend. Sie studierte in Kassel ökologische Landwirtschaft und machte dann am Seminar für Waldorfpädagogik in Hamburg eine Ausbildung zur Klassenlehrerin und Fachlehrerin für Gartenbau. Mittlerweile engagiert sie sich selbst in der Weiterbildung und unterrichtet seit einigen Jahren auch als Dozentin für Fachdidaktik Gartenbau. „Ich habe in der Ausbildung gemerkt, dass es sehr viele verschiedene Aufsätze gibt, aber kein aufbereitetes Überblickswissen zum Fach Gartenbau. Auch überwiegen Beiträge zu gärtnerischen Themen, aber nicht zu ihrer Vermittlung an Schulen.“

Kaufmanns Kollege Christoph Kaiser hat 2013 mit seinem Sammelband „Gärten der Zukunft“ eine bunte und breit angelegte Bestandsaufnahme der Waldorfschulgartenszene geliefert. Bei Kaufmanns Veröffentlichung steht dagegen bewusst der Lehrbuchcharakter in Vordergrund.

Das Faszinierende am Gartenbau sei, dass der Fachbereich so viele Aspekte verbindet: „Die Schüler erleben unmittelbar die Natur, schulen ihre Wahrnehmung sowie ihre Grob- und Feinmotorik, sehen, wie Lebensmittel entstehen“, so Kaufmann. Zudem gefalle ihr der individuelle Ansatz: „Für jedes Kind kann ich als Lehrer eine passende Tätigkeit finden und damit auf seinen Entwicklungsgrad eingehen. Besonders in der Mittelstufe, in den Klassen 5 bis 8, ist das Fach wichtig, denn die jahreszeitlichen Anforderungen des Gartens, die quasi von der Natur diktiert werden, führt die Schüler von subjektiven Launen und Befindlichkeiten weg.“ Der Garten gebe vor, was zu tun sei, der Lehrerin komme die Rolle der Vermittlerin zu.

Doch Kaufmanns Buch ist nicht nur ein Plädoyer und ein Abc für das Schulfach Gartenbau, das sich unter anderem den Themen „Durchführung von Unterrichtseinheiten“ oder „Der Gartenbau im Schulzusammenhang“ widmet. Es wirbt zwischen den Zeilen auch für den Beruf des Gartenbaulehrers. Denn dieser hat mit Klischees zu kämpfen: Einzelkämpfer, männlich, verschroben. Ist der Gartenbaulehrer so eine Art „grüner Nerd“ im Kollegium? Dem Prototyp des Lehrers würden viele wohl nicht entsprechen, meint Kaufmann: „Gartenbaulehrer sind schwer zu kategorisierende und sehr individuelle und kreative Typen von Menschen, die meist aus dem praktischen Berufsleben kommen.“ Als Gartenbaulehrer brauche man viel Eigeninitiative, dafür aber biete das Fach unendlich viele Möglichkeiten, den Unterricht ganz individuell und kreativ zu gestalten.

Oft allein, aber gut vernetzt

Auch in anderer Hinsicht hat der Gartenbaulehrer beziehungsweise seine bisher noch nicht ganz so oft anzutreffende weibliche Variante, insofern eine Sonderstellung im Lehrerkollegium: An den meisten Schule findet man nämlich nur ein einziges Exemplar dieser Spezies. Doch auch dagegen gebe es Abhilfe, weiß Kaufmann: „Die Gartenbaulehrer sind untereinander gut vernetzt, tauschen Pflanzen aus und machen Sammelbestellungen, organisieren Regionaltreffen und eine jährliche internationale Tagung. Zu der Bundesarbeitsgemeinschaft Gartenbau bestehen einzelne persönliche Kontakte.“

Wenn Kaufmann einen Wunsch für ihr Fach hat, dann ist es der, dass zunehmend alle Schulen, nicht nur die Waldorfschulen das pädagogisch Wertvolle des Schulgartens als Lernort entdecken. Allerdings nicht als hippes grünes Projekt, das seine Attraktivität auch bald wieder verlieren kann, sondern als alltäglichen, selbstverständlichen Bereich des Schullebens und des Unterrichts, der fest im Etat der Schule verankert ist und für den Lehrer und Schüler auch gerne Verantwortung übernehmen.

■ Birte Kaufmann: „Der Gartenbauunterricht an der Waldorfschule. Ziele und Aufbau, Methodik und Didaktik“. Verlag Freies Geistesleben, 24,90 Euro (erscheint am 8. Oktober 2014)