Rahmen weben, länger leben?

SALUTOGENESE Weniger Stress, mehr Bewegung, besseres Schulessen: Viele Gründe sind denkbar, warum Waldorfschüler gesünder leben. Eine Studie hat nun erstmals genauer hingeschaut

Mehr als drei Viertel der Waldorfschulen bereiteten ihre Mahlzeiten vor Ort frisch zu

VON HEIDE REINHÄCKEL

Es muss nicht immer gleich das fliegende Klassenzimmer sein, doch Kinder müssen aktiv sein, um sich wohlzufühlen. In der Waldorfpädagogik ist das gerade in den Grundschuljahren längst Programm – und nennt sich „Bewegtes Klassenzimmer“. „Bei dieser pädagogischen Methode, die in vielen Waldorfschulen seit über zehn Jahren zum Einsatz kommt, werden kleine Schulbänke flexibel als Sitzbank oder als Tisch zum Schreiben oder auch als Balancierstrecke verwendet“, so Celia Schönstedt vom Bund der Freien Waldorfschulen. „Die Bänke werden je nach Unterrichtssituation im Kreis oder gestaffelt für den Frontalunterricht aufgebaut oder an den Rand geräumt.“ Denn neben der Bewegung an sich gehörten auch die Förderung der Fein- und Grobmotorik zu den prinzipiellen Elementen der Waldorfpädagogik.

Das Beispiel des Klassenzimmers als Manege für die ersten Lernversuche weist in eine interessante Richtung. Wie wirken sich die Unterschiede zum herkömmlichen Modell eigentlich langfristig aus? So profitieren die Schüler etwa von vielfältigen alternativen Angeboten vom Stricken und Weben über eurythmische Tanzkunst bis zum selbst geernteten Biogemüse in der eigenen Kantine. Bestimmt unser Schulbesuch damit auch über unsere lebenslange Gesundheit? Und kommen Waldorfschüler gesünder durchs Leben?

Dieser Frage ging eine wissenschaftliche Studie nach, die unter dem Titel „The Effect of attending Steiner Schools during childhood on health in adulthood“ nach, die im September 2013 auf der Open-Access-Plattform PLOS ONE veröffentlicht wurde. Befragt wurden mehr als 1.000 ehemalige Waldorfschüler, die in Berlin, Hannover, Nürnberg und Stuttgart zur Schule gegangen waren – und konnten Angaben zu 16 chronischen Krankheiten wie beispielsweise Rheuma, Bluthochdruck oder Herzrhythmusstörungen sowie weiteren Krankheitssymptomen machen. Die Antworten wurden mit denen einer Kontrollgruppe von Probanden mit der gleichen Postleitzahl verglichen, die jedoch keine Waldorfschule besucht hatten. Die ehemaligen Waldorfschüler litten im Vergleich zur Kontrollgruppe seltener an Arthrose, Gelenkschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen und Gleichgewichtsstörungen. Diese Unterschiede wurden unabhängig von den Faktoren Gesundheitsverhalten (Alkohol, Rauchen, Sport, Ernährung) und soziale Herkunft festgestellt.

Ob der Grund für diese Differenz tatsächlich in der Schulform liegt, muss allerdings erst noch in weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen geklärt werden. Aus Sicht der Studienleiterin Claudia Witt können die beobachteten Unterschiede zwischen den Gruppen aber nicht direkt mit einer Waldorfschulbildung in kausalen Zusammenhang gebracht werden. „Aufgrund des Designs der Studie könnten auch andere, unbekannte Einflussfaktoren dahinterstecken“, so die am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité arbeitende Forscherin. Auch Christoph Hueck, Dozent an der Freien Hochschule Stuttgart und Mitautor der Studie, äußerte sich in einem Beitrag in der Zeitschrift Erziehungskunst vom Januar 2014 vorsichtig: „Das Querschnittsdesign der Studie und der teilweise große Abstand zwischen dem Besuch einer Waldorfschule und den untersuchten Erkrankungen lassen nur eine begrenzte Interpretation der Ergebnisse zu.“ Ein Grund mehr für Hueck, in Zukunft weiterzuforschen. Eine bisher nur unzureichend geklärte Frage sei etwa, wie sich Schulstress langfristig auf die Herzgesundheit auswirke.

Einen anderen Ansatz verfolgt Ernährungswissenschaftlerin Anne Abeler. Sie untersuchte in einer bundesweiten Studie die Qualität der Schulspeisung an Waldorfschulen („Die Verpflegung an Waldorfschulen – Eine deutschlandweite Befragung“. Hrsg. Pädagogische Forschungsstelle Kassel, 2013). Dafür befragte die Wissenschaftlerin 115 Waldorfschulen, rund die Hälfte der zu diesem Zeitpunkt existierenden Schulen.

Die Ergebnisse ihrer Studie bescheinigten den Waldorfschulen eine Vorreiterrolle auf dem Feld der gesunden Ernährung: So war beispielsweise die Qualität des Essens sowie die Zufriedenheit der Schüler sehr hoch. 97 Prozent der befragten Schulen boten demnach ein Mittagessen an, 96 Prozent täglich ein vegetarisches Menü, 40 Prozent verzichtete sogar ganz auf Fleisch. Mehr als drei Viertel der befragten Schulen bereiteten ihre Mahlzeiten vor Ort frisch zu. Da 88 Prozent der befragten Schulen zudem das Fach Gartenbau unterrichteten, wurde das Thema gesunde Ernährung auch im Unterricht eingebaut.