Land unter für deutschen Export

Trotz Kritik von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen bewilligt die Bundesregierung Kreditgarantien für den umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Türkei. Grund: Die vorgegebenen Kriterien seien erfüllt

VON J. GOTTSCHLICH
(ISTANBUL) UND M. KREUTZFELDT (BERLIN)

Am Montagnachmittag fiel die Entscheidung: Trotz heftiger Proteste von Umweltorganisationen sowohl in Deutschland und Österreich wie in der Türkei ermöglichen beide Regierungen den Bau eines Großstaudammes im Südosten der Türkei durch Bürgschaften. In einer ersten Stellungnahme äußerten sich kurdische und türkische NGOs, die in der Türkei gegen den Bau des Ilisu-Dammes zusammenarbeiten, bestürzt über diese Entscheidung. „Durch den Ilisu-Damm wird die über 10.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf am Tigris, die unter Denkmalschutz steht und von Experten zum Weltkulturerbe gezählt wird, für immer in den Fluten versenkt werden. Darüber hinaus wird der Staudamm zur Vertreibung von 55.000 Menschen führen“, heißt es in einer Erklärung von 72 Organisationen aus der Region.

Die Regierungen begründeten ihre Entscheidung mit dem Argument, dass nach langen Verhandlungen die Türkei nun weit strengeren ökologischen und sozialen Vorgaben zugestimmt habe, als ursprünglich vorgesehen. Auch sollen aus der antiken Stadt Hasankeyf viele Kulturgüter gerettet werden. „Wir haben klare Kriterien, etwa zur Konsultation der Nachbarstaaten, formuliert, und die sind erfüllt worden“, sagte Erich Stadter, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der taz. „Und wir werden streng darauf achten, dass sich die Türkei und die beteiligten Unternehmen an die Vereinbarungen halten.“ Dazu werde ein unabhängiges Expertengremium eingesetzt.

Das Projekt war schon einmal an ungenügenden ökologischen Vorgaben der türkischen Regierung gescheitert. Vor sechs Jahren hatte sich ein britisches Bankenkonsortium deshalb aus der Finanzierung des Projekts zurückgezogen. Die jetzt beschlossenen Exportbürgschaften sollen die Risiken der beteiligten deutschen und österreichischen Firmen abdecken. Generalunternehmer des Projekts ist die Züblin AG aus Stuttgart. Für das Projekt, das schätzungsweise zwei Milliarden Euro kosten wird, werden Kreditbürgschaften über 450 Millionen Euro bereitgestellt. Refinanziert werden soll es über den Verkauf des am Damm erzeugten Stroms.

Die Argumente der Regierungen stoßen bei NGOs auf heftige Kritik. „Die Bundesregierung opfert Menschen, Kultur und Umwelt, um einigen Unternehmen Gewinne zu ermöglichen“, urteilt Heike Drillisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Weed. „Die Pro-Ilisu-Entscheidung ist eine Schande für Deutschland.“

Auch die Organisationen vor Ort sind empört und hoffen, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Bisher seien die Bauern vor Ort, die dem zukünftigen Staudamm weichen müssten, in die Entscheidungsfindung überhaupt nicht mit einbezogen worden, sondern würden nach wie vor nur vor vollendete Tatsachen gestellt. Tatsächlich wird es wohl auch am Tigris, wie bei anderen Staudämmen am Euphrat zuvor, so kommen, dass die neuen Dörfer ohne Beteiligung der künftigen Bewohner auf die Hochebene gestellt werden und die sozialen Strukturen sowie die landwirtschaftliche Grundlage der Dörfer dadurch weitgehend zerstört wird.

Auch der antike Ort Hasankeyf, der vor 10.000 Jahren an einer Tigris-Furt entstand und damit zu den frühesten menschlichen Siedlungen überhaupt gehört, kann nicht verpflanzt werden. Im besten Falle können einige archäologische Fundstücke künftig in einem geplanten Kulturpark gezeigt werden. „Der Ilisu-Staudamm ist von Grund auf ein so zerstörerisches Projekt, dass es nicht mit irgendwelchen Auflagen verbessert werden kann. Daher muss es gestoppt werden“, erklärte Ercan Aybogy von der örtlichen Initiative zur Rettung von Hasankeyf.

Befürworter des Projekts führen hingegen an, dass zukünftig eine große Fläche in der ärmsten Region des Landes bewässert werden könnte, was dem Südosten der Türkei einen großen Entwicklungsschub geben würde.