„Es gibt die kleine Widerspenstigkeit“

Hier geht es um Entgrenzung: Arbeit und Nicht-Arbeit, ihre Entgrenzung und die Widerstände dagegen sind heute Thema einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde im Hamburger Museum der Arbeit

KLAUS SCHÖNBERGER, 47, arbeitet am Institut für Volkskunde der Uni Hamburg.

taz: Herr Schöneberger, Sie sprechen heute über die Widerständigkeit gegen die Entgrenzung der Arbeit – wo ist die denn heute im bundesrepublikanischen Alltag zu finden?

Klaus Schönberger: Es gibt ganz verschiedene Formen, aber die organisieren sich nicht mehr entlang der großen Linien. Es gibt noch große Streiks in Industriebetrieben wie den bei Opel in Bochum und im Dienstleistungsbereich zum Beispiel die Lidl-Kampagnen von Verdi und Attac. Widerständigkeit ist aber nicht Widerstand und in dieser Weise nicht immer sichtbar.

Wo ist der Unterschied zum Widerstand?

Es meint die kleine Widerspenstigkeit, das Verweigern und Bummeln, ganz verschiedene Aspekte, die nicht nach dem Motto: „Alle Räder stehen still, wenn ein großer Arm es will“ funktionieren.

Laufen Ihre Beispiele Lidl und Opel nicht an den traditionellen Konfliktlinien entlang, bei denen es um Mitbestimmung oder Arbeitsplatzerhalt geht – nicht aber um eine Entgrenzung von Arbeit?

Aber natürlich geht es um Entgrenzung: Schauen Sie sich die Arbeitsverträge, die Verfügbarkeiten an. Das ist ja das Fatale an der Geschichte, dass sie auf vielfältigen Ebenen stattfindet, die nicht mehr in den klassischen Tarifkategorien beschrieben werden können. Letztendlich sind die Bedürfnisse derjenigen, die da entgrenzt arbeiten, widersprüchlich und individualisiert – entsprechend fallen die Widerständigkeiten aus. Und sei es, dass Menschen das Internet privat am Arbeitsplatz nutzen, was ihr gutes Recht ist.

Wenn man sich Ihre Publikationsliste zum Thema Widerstand ansieht, findet man vor allem Texte zum Thema Bankraub. Ist das für einen Historiker die eindrücklichere Form als das, was Verdi und Attac aufbieten?

Es wäre fatal, wenn ich mich von solchen Bedürfnissen leiten lassen würde. Ich muss mich vielmehr von solchen Perspektiven verabschieden. Und wenn ich mir bestimmte Gruppen ansehe, die mit dem Internet arbeiten, prekarisiert sind und gleichzeitig so etwas wie die Euromayday– Bewegung ins Leben rufen, dann ist das eine Form von Widerständigkeit, die ich mit der Bankraub-Perspektive nie in den Blick bekäme.

Beim Themenblock „Widerständige Praxen, Prekarität, Arbeitslosigkeit“ fällt auf, dass sich die meisten Vorträge mit einem Prekariat befassen, das aus dem Mittelstand kommt. Liegt da den Akademikern die eigene Schicht am nächsten?

Da ist sicher ein Grund. Und ganz viel von wissenschaftlicher Arbeit findet unter prekären Bedingungen statt, insofern ist es eine Beschäftigung mit der eigenen Situation. Aber das finde ich nicht schlimm: Die umgekehrte Vorgehensweise hat immer zum Vorwurf geführt, man würde einer Sozialromantik verfallen und sich mit anderen identifizieren. INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF