Aus der Verantwortung gezogen

ASYL Ein jemenitischer Menschenrechtsaktivist wurde aus dem Kreis Nordfriesland nach Norwegen überstellt und von dort in den Jemen abgeschoben. Damit habe Schleswig-Holstein ihn an die politischen Verfolger ausgeliefert, kritisiert der Flüchtlingsrat

■ Flüchtlinge dürfen innerhalb der EU nur in einem Mitgliedsstaat Asyl beantragen. Zuständig ist dann immer das Ersteinreiseland.

■ Bittet ein Flüchtling in einem weiteren EU-Staat um Asyl, muss dieser den Antrag nicht mehr inhaltlich prüfen, sondern nur feststellen, welcher Staat zuständig ist.

■ Zu den Unterzeichnern des Dublin-III-Abkommens gehören auch Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz.

■ Deutschland hat von Januar 2012 bis Ende Juni 2014 78 Flüchtlinge aus Afghanistan und drei Menschen aus dem Jemen nach Norwegen überstellt. Die Familie A. ist in dieser Statistik noch nicht enthalten.

VON ANDREA SCHARPEN

Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Ahmed A. ist mit seiner Familie aus dem Jemen nach Norwegen und von dort weiter nach Schleswig-Holstein geflohen. Ende August wurde die Familie aus dem Kreis Nordfriesland vom Hamburger Flughafen nach Oslo und weiter in die jemenitische Hauptstadt Sanaa abgeschoben, wo A. sofort inhaftiert wurde. In Deutschland fühlt sich für den Fall aber niemand zuständig. “Es greift die Dublin-Regelung. Punkt“, sagt Ove Rahlf, Pressesprecher des Innenministeriums in Schleswig-Holstein. Danach ist Norwegen als Erstaufnahmeland zuständig.

„Dort wird die Sicherheitslage für Jemen und Afghanistan aber viel ungefährlicher eingeschätzt und es werden mehr Menschen in diese Herkunftsländer abgeschoben“, sagt Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. „Die deutschen Behörden haben sich aber nicht falsch verhalten“, sagt sie. Allerdings hätten sie ihre Möglichkeiten auch nicht voll ausgeschöpft. In diesem Fall sei bekannt gewesen, dass eine Kettenabschiebung in den Jemen drohte. „Deutschland hätte von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen und den Folgeantrag selbst bearbeiten können“, kritisiert Dallek. Doch die deutschen Behörden hielten sich raus. „Hier wurde ein politisch Verfolgter zum Opfer der berüchtigten Dublin-Verfahren-Bürokratie“, sagt sie.

Ahmed A. war mit seiner Familie bereits 2011 nach Norwegen geflohen. „Er hat sich in Jemen mit den falschen Leuten angelegt“, sagt Dallek, die mit A. noch immer in Kontakt steht. Als Menschenrechtsaktivist hatte er die Regierung kritisiert. Als Journalist recherchierte er in einem ungeklärten Mordfall, in den der Sohn eines einflussreichen jemenitischen Milliardärs verstrickt gewesen sein soll. “Der Staat konnte ihn nicht vor der Bedrohung durch die Familie des Tatverdächtigen schützen, deshalb ist er geflohen“, sagt sie.

In Norwegen habe die Familie sich sicher gefühlt, die Kinder gingen zur Schule, fanden Freunde. A. dozierte an der Uni in Oslo über die Sicherheitslage in Jemen und machte immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland aufmerksam. „Allein durch diese aktive Medienarbeit hat er Nachfluchtgründe geschaffen“, sagt Dallek. Norwegen lehnte das Asylgesuch nach mehr als drei Jahren Prüfung aber ab. Aus Angst vor der Abschiebung in den Jemen floh A. mit Familie nach Deutschland – in den Kreis Nordfriesland.

Die Bitte um Asyl zog er aber zurück. „Ich habe ihn dringend davon abgeraten“, sagt Dallek, „Aber er hatte keine Hoffung, in Nordfriesland bleiben zu dürfen.“ Stattdessen sollten seine Kinder im neuen Schuljahr wieder in Norwegen in die Schule gehen. Aber am 26. August wurden sie dann doch abgeschoben. Kaum am Flughafen in Oslo angekommen, wurde die ganze Familie festgenommen und zu einer Polizeidienststelle gebracht, schilderte A. Dallack am Telefon. Sie durften nicht einmal ihr Gepäck vom Rollband holen. In einer Zelle ohne Betten schliefen die Kinder auf dem Boden. Die Handys wurden ihnen abgenommen. Ein Gespräch mit einem Anwalt und einen Asylfolgeantrag verweigerten ihnen die Polizisten. Am nächsten Morgen ging der Flieger in den Jemen – in Begleitung von neun Sicherheitsbeamten. In Sanaa wurde A. verhaftet, seine Frau und Kinder kamen bei Verwandten unter. „Es ist für die Familie eine dramatische Situation“, sagt Dallek.

Am Freitag nun wurde A. freigelassen und die Gefängniswärter hätten gedroht, er sei im Land nicht mehr sicher und sollte besser ausreisen, sagt Dallek. Nur stellt sich die Frage, wohin? Denn in den Schengenraum darf die Familie nach der Abschiebung für maximal fünf Jahre nicht mehr einreisen.

“Sie sind perspektivlos“, sagt Dallek. Ob zuständig oder nicht, jetzt müsse sich auch das Land Schleswig-Holstein einmischen, fordert der Flüchtlingsrat: „Die Landesregierung sollte sich jetzt schnell für die Rückkehr der Familie und ein Visum einsetzen.“