Hinter den Kokospalmen

Bahia ist das touristische Boom-Bundesland von Brasilien. Mit riesigen Resorts an einsamen Stränden. Vom Leben neben dem Tourismusboom: Resorts und Kleinbauern an der Küste

Anreise: Mit Condor zweimal in der Woche nach Salvador da Bahia ab 750 Euro, anschließend Transfer ins 60 Kilometer nördlich gelegene Praia do Forte um die 30 Euro Unterkunft: Im Iberostar-Resort nördlich von Praia do Forte zwei Wochen all inclusive um die 1.700 Euro www.iberostar.com In Praia do Forte im Hotel Vila dos Corais Garten, Pool und Restaurant www.viladoscorais.com.br DZ ab 70 Euro Essen: Casa da Nati, mittags Selbstbedienungsbüfett, à la carte, schmackhafte Säfte und viele Menschen, etwa auf der Mitte der Hauptstraße, täglich von 7 bis 22 Uhr Typisches und Meeresfrüchte zu nur etwas gehobeneren Preisen im Sabor da Vila – auch als „Zequinha“ bekannt, am Anfang der Hauptstraße, täglich von 11 bis 22 Uhr Ausflüge: Ein Reitausflug in den Regenwald, zur Festung und an den Pojucafluss vermittelt einen Eindruck davon, wie es in der Gegend vor dem Hotelbau ausgesehen haben mag. Buchbar über die Agenturen im Ort oder direkt beim Haras Acu da Torre, Tel. 71-36 76 20 04 Besichtigungen der Festung, Kanutouren auf dem Timeantubesee, Boots- und andere Ausflüge sind buchbar bei Odara-Tours auf der Hauptstraße www.odaratours.com.br Walbeobachtungstouren mit einer ausführlichen Einführung über das Leben der Wale und einer etwa vierstündigen Bootstour für rund 45 Euro, buchbar bei Portomar www.portomar.com.br Allgemeines zur Praia do Forte www.praiadoforte.org.br Besuch von Candombléfesten in Salvador über www.toursbahia.com.br

von CHRISTINE WOLLOWSKI

Seu Fausto geht nicht an den Strand. Er kennt den feinen goldgelben Sand vor dem türkisen Meer mit weißen Schaumkronen nicht, dessen Schönheit die Menschen zu hunderttausenden anlockt. Seu Fausto wohnt ein paar Kilometer, einige Hügel und mehrere Welten von der Kokospalmenküste entfernt im Hinterland von Bahia, wo die Sonne Risse in den Lehmboden brennt und es anderes zu tun gibt, als am Strand zu relaxen. Deswegen hat Seu Fausto nie im Schatten eines Sonnenschirms gesessen,wie die Urlauber, die jedes Jahr Millionenumsätze und neue Investoren bringen, die immer neue Hotels und Resorts an die Nordküste Bahias bauen.

Bahia ist das touristische Boom-Bundesland von Brasilien. Mit riesigen Resorts an einsamen Stränden, die trotzdem nur wenige Kilometer vom internationalen Flughafen entfernt sind. Mit einer Unesco-geschützten Altstadt voller bunter Kolonialbauten in Salvador. Und mit reichlich afrikanischem Kulturerbe. Trotz ihrer berühmten Gelassenheit haben es die Bahianer in den letzten Jahren geschafft, ihre Wirtschaft schneller anzukurbeln als der Rest Brasiliens. Ihr Kampftanz Capoeira hat sich in Europa zum Modesport entwickelt, und manche ihrer Musiker verkaufen im Ausland noch mehr CDs als zu Hause. Seit diesem Jahr fliegen zwei Chartermaschinen pro Woche aus Deutschland nach Salvador.

Angefangen hat der Boom im Jahr 1998. Es sollte das größte Resort Brasiliens werden, und die Bewohner der „Kokospalmen-Küste“, der Costa dos Coqueiros nördlich von Salvador da Bahia, machten sich einige Hoffnungen: Irgendetwas würde wohl auch für sie beim Wirtschaftswachstum rausspringen. Im Jahr 2000 eröffneten die Hotelkonzerne Sofitel, Renaissance, Super Club Breezes und Marriott ihre Häuser mit mehr als 1.600 Zimmern. Das Resort Costa do Sauípe wurde damit zum wichtigsten Arbeitgeber der Region – nur nicht für die Einheimischen. Nach ein paar Aushilfsjobs am Bau mussten die meisten ihre Hoffnungen begraben. Wie sollten die Hinterwäldler von der Kokospalmenküste auch internationalen Hotelstandards genügen? Die meisten konnten ja nicht einmal ordentlich lesen.

Für Seu Fausto fängt das Leben morgens um vier Uhr an, wenn er mit dem Eimer Wasser aus dem Fluss schöpft, um die Ranken seiner Passionsfruchtpflanzung zu gießen. Sein Gesicht ist rotbraun gebrannt, wo die Schirmmütze es nicht schützt, sein Bauch von vielen Jahren Bohneneintopf mit Maniokmehl rund und seine Hütte aus Lehm bis heute nicht fertig geworden. Liebevoll sammelt der schweigsame Fausto im blassen Morgenlicht die glänzend-grünen reifen Früchte in eine Plastiktüte. Dann reißt er Unkraut aus dem zementharten Lehmboden, zupft vertrocknete Blätter von seinen Passionsblumen oder pflanzt Papaya, Maniok und Bohnen für den Eigenverbrauch. Alle paar Tage schultert er einen großen Sack und macht sich zu Fuß auf, seine Ernte an Pensionsbesitzer und Tante-Emma-Läden zu verkaufen. Ein paar Kilometer und Hügel weiter in der anderen Welt, wo Touristen frische Fruchtsäfte lieben.

Etwa in Praia do Forte, dem Vorzeigedorf der Region. Dort sitzen europäische und brasilianische Gäste an der gepflasterten autofreien Dorfhauptstraße im Schatten von Tamarinden und Bananenstauden, trinken Espresso und Cocktails und freuen sich über die gelungene Mischung aus Dorfatmosphäre, Souvenirläden, Ausflugsprogrammen und internationalen Restaurants. Die Praia do Forte hat sich nach einem Masterplan entwickelt, der Grundstücksgrößen, Straßen, Grünflächen und sogar soziale Projekte festlegt. Abgezählte Pensionen und Hotels mit Charme entstanden, die Dorfbewohner fanden Arbeit im ersten Haus am Ort, dem Eco-Resort. Die Fischer lernten lesen und schreiben, manche machten sogar das Abitur. Ihre Kinder gehen inzwischen auf die Universität. Es gibt mehrere Internetcafés und eine Sushi-Bar, die alten Männer spielen immer noch Domino auf der Dorfstraße, und die meisten haben ihre Häuser schlau mit den Fremden geteilt: In der meterbreiten Hälfte mit schlicht gekalktem Putz wohnen sie selbst, in der mit Eukalyptusstämmen und Glas angeschickten anderen Hälfte hausen eine Edelboutique, eine Pizzeria oder ein Reisebüro. Von der Ladenmiete lässt es sich leben.

Wo Seu Fausto wohnt, gibt es keinen Masterplan, keinen Supermarkt und keine Abendschule. Lange nach der Eröffnung der Costa do Sauipe sind ein paar Kilometer immer noch fast die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten, die am Rand des Existenzminimums leben. Wie Seu Fausto. Erst nach drei Jahren beugt sich die Sauípe-Geschäftsleitung internationalem Druck, tut sich mit der Stiftungsabteilung der Banco do Brasil zusammen und entwirft im Jahr 2003 das Sozial- und Umweltprojekt Berimbau, unterstützt von der UNO-Unterorganisation Intracen. Das hört sich toll an: Die Bewohner von acht umliegenden Dörfern sollen die organischen Abfälle der Hotels recyceln, Gemüse für den Hotelbedarf anbauen, in einem Weiterbildungszentrum lernen, mit Computern umzugehen, und ihre kunsthandwerklichen Produkte an Gäste verkaufen.

Seitdem sind weitere drei Jahre vergangen, und ein Besuch vor Ort ist enttäuschend. Am besten hat sich die Frauenkooperative geschlagen, die ihre farbenfrohen handgeflochtenen Körbe aus Palmstroh sogar ins Ausland verschickt. Das Weiterbildungszentrum steht still, weil seit dem Ende der Anschubfinanzierung der Strom abgeschaltet ist. Das Recyclingprojekt hat nicht funktioniert, weil die Logistik zu kompliziert war. Und die Obst- und Gemüseproduktion der Kleinbauern ist zu unregelmäßig, als dass sie den Bedarf der touristischen Großunternehmen decken könnte.

Trotzdem gibt es Hoffnung für Seu Fausto. Weil noch in diesem Jahr das erste Haus des Imbassaí-Resorts eröffnet werden soll und dessen portugiesische Investoren schon vorher an das Umfeld und ihr Image gedacht haben: 160 Millionen Euro soll die Anlage mit Hotels, Freizeitanlagen und Ferienhäusern kosten, etwa 0,5 Prozent davon sind für das Sozialprojekt Ciranda vorgesehen. Umwelterziehungskurse hat es schon gegeben, Capoeira für die Jungen, PC-Kurse für alle, ein Dutzend Schüler lernen Englisch.

Klingt bescheiden? Ist es auch. Aber für Seu Fausto ist das Projekt Ciranda ein echter Glücksfall: Er wird einen Brunnen, eine Wasserpumpe und eine Bewässerungsanlage bekommen. Damit spart er so viel Zeit, dass er demnächst sogar an den Strand gehen könnte.