Gegen die „Lebensschützer“

Für den „Marsch für das Leben“ in Berlin gibt es gleich zwei Aufrufe zum Widerstand. Sie wollen den Aufzug der christlichen FundamentalistInnen stoppen

20. September what the fuck! Die Demonstration des autonomen Bündnisses startet um 11.30 Uhr am U-Bahnhof Kochstraße no218nofundis.wordpress.com

Bündnis für sexuelles Selbstbestimmungsrecht“ Die Kundgebung des Bündnisses findet am Platz des 18. März/Brandenburger Tor statt, Start 13 Uhr sexuelle-selbstbestimmung.de

Wenn am Samstag, den 20. September, der alljährliche „Marsch für das Leben“ wieder Tausende AbtreibungsgegnerInnen nach Berlin lockt, wird es zwei offizielle Gegenveranstaltungen geben. Einerseits ruft das autonome Aktionsbündnis „what the fuck!“ zu einer Gegendemonstration auf, die den Aufmarsch der AbtreibungsgegnerInnen blockieren soll. Andererseits mobilisiert das „Bündnis für sexuelle Selbststimmung“ zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor.

Um 11.30 Uhr trifft sich das „what the fuck“-Bündnis am U-Bahnhof Kochstraße. Ziel ist es, den in den letzten Jahren gewachsenen Demonstrationszug der „Lebensschützer“ zu blockieren. „Wir wollen eine zentrale Anlaufstelle für alle GegendemonstrantInnen bieten, um den Marsch dieses Sammelsuriums von AbtreibungsgegnerInnen zu stoppen“, sagt Sarah Bach, Pressesprecherin des Bündnisses. Dabei soll die letztjährige TeilnehmerInnenzahl von 300 bis 400 Menschen unbedingt übertroffen werden.

Für 13 Uhr ruft das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ die Menschen auf, gegen das „reaktionäre und religiös-fundamentalistische geschlechtliche Rollenbild der sogenannten Lebensschützer“ zu protestieren. Diese Bewegung „gewinnt seit Jahren und fast unbemerkt immer mehr politischen und gesellschaftlichen Einfluss“, bemerkt Lisa Lehmann vom Kundgebungsbündnis. Gleichzeitig passten ihre Forderungen und Ansichten nicht zu der Realität der in Deutschland lebenden Menschen. „Wir möchten daher eine hörbare, öffentlich wirksame Gegenstimme zu Zielen des ‚Marschs für das Leben‘ der AbtreibungsgegnerInnen sein, die ein absolutes Verbot und die Bestrafung von allen Schwangerschaftsabbrüchen fordern“, so Lehmann weiter. Unterstützt wird die Kundgebung unter anderem vom Humanistischen Verband Deutschlands, sämtlichen Pro-Familia-Landesverbänden sowie der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

Beide Bündnisse fordern einen generell straffreien Schwangerschaftsabbruch in Deutschland. Ein solcher ist nämlich nach Paragraf 218 im Strafgesetzbuch erst seit 1974 – mit Einschränkungen – straffrei. Die Frauen müssen dafür an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen und mindestens drei Tage Bedenkfrist eingehalten haben. Dieser „Fristenlösung mit Beratungspflicht“ war in den Jahren zuvor eine der kontroversesten Debatten der Nachkriegszeit vorausgegangen. Unvergessen bleibt dabei die Titelseite des Stern am 6. Juni 1971: „Wir haben abgetrieben!“

Der „Marsch für das Leben“, zu dem der Bundesverband Lebensrecht (BvL) jährlich aufruft, findet traditionell am dritten Septemberwochenende statt. Die Aufmärsche haben sich in den vergangenen Jahren weltweit etabliert. Das Spektrum der Teilnehmer reicht von christlichen Fundamentalisten, Rechtspopulisten, Mitgliedern von CDU/CSU und der AfD. Ihre Kernforderung ist die Abschaffung jeglichen Rechts auf Abtreibung sowie das Verbot von Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik. All dies stellt aus ihrer Sicht eine „vorgeburtliche Kindstötung“ dar. Grußworte gesprochen haben letztes Jahr unter anderem der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge, der ehemalige Kölner Kardinal Joachim Meisner sowie der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder. Im letzten Jahr sind 4.000 DemonstrantInnen, teilweise mit großen weißen Kreuzen, durch Berlin gelaufen. „Wir rechnen in diesem Jahr mit noch mehr LebensschützerInnen. Es ist daher umso wichtiger, dass sich sehr viele Leute in den Weg stellen“, betont Bach.

Die Anti-Abtreibungs-Bewegung hat in den letzten Jahren an Schwung gewonnen. „Das Thema Abtreibung ist sehr anschlussfähig“, sagt Bach. Um ihre Meinung zu verankern, verbreiteten die AbtreibungsgegnerInnen Unwahrheiten, die das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, Homosexuellen und Transsexuellen untergraben sollen. Es werden immer mehr Fälle bekannt, in denen Abtreibungsgegner Frauen, die Abtreibungskliniken aufsuchen, durch sog. „Gehsteigberatung“ einschüchterten, teilweise mit künstlichen Reproduktionen von Embryonen in der Hand. Bedroht wurden auch Ärzte, die Schwangerschaftskonfliktberatung anbieten.

Im Vorfeld der Gegendemonstrationen sind noch einige Veranstaltungen geplant, bei denen man sich über die Abtreibungsgegner informieren und in die Planung der Demos einbringen kann. So lädt beispielsweise die Friedrich-Ebert-Stiftung am 18. September, 18 Uhr zur Vorstellung einer Studie zur momentanen Stimmungsmache gegen Feminismus und reproduktive Rechte ein. Das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ trifft sich am 15. September, 18 Uhr, in der Mauritiuskirchstr. 3 zur letzten Vorbereitung der Kundgebung am Brandenburger Tor. GIL SHOHAT