Der Krieg kehrt nach Mogadischu zurück

Hunderte sterben im tagelangen Granatenhagel in Somalias Hauptstadt, darunter viele Zivilisten. Das Rote Kreuz spricht von den schlimmsten Kämpfen seit der Flucht Siad Barres vor 16 Jahren. Ein Bericht kritisiert die Verschleppung von Flüchtlingen

Die einzige halbwegs sichere Straße ins Umland war völlig verstopft Die USA verteidigen die Gefechte als Teil des Kampfs gegen den Terror

VON MARC ENGELHARDT

Die Granate landete im Wohnzimmer des 70-jährigen Scheich Mohammed. Seine Frau war sofort tot. Die schwer verletzte Tochter versteckte sich in den Trümmern, weil sie es im Dauerbeschuss nicht wagte, in ein Krankenhaus zu fliehen. Mehr als 24 Stunden später traf eine zweite Granate Mohammeds Haus. Auch die Tochter starb. Mohammed selbst hat nur schwer verletzt überlebt.

Geschichten wie diese gibt es viele aus Somalias Hauptstadt Mogadischu am vierten Tag der heftigen Gefechte. Ob sie im Detail stimmen, weiß niemand, denn im Kugelhagel fliehen auch die unabhängigen Berichterstatter. Doch die Tendenz ist unbestritten: Leichen verwesen seit Tagen in den Straßen. Schwerverletzte verschanzen sich in ihren Häusern. 200 „Bewaffnete“ will allein die äthiopische Armee seit Donnerstag getötet haben. In den Krankenhäusern sind mehr als 100 Tote gezählt worden, die meisten sind Zivilisten. Das Rote Kreuz spricht von den schwersten Kämpfen in Mogadischu seit der Vertreibung des Diktators Siad Barre vor 16 Jahren.

Die äthiopische Armee und somalische Regierungssoldaten nehmen ganze Wohnviertel seit Tagen unter Dauerbeschuss. Mit Panzern und Armeehubschraubern gehen sie nach eigenen Angaben gegen Islamisten vor, die Überbleibsel der „Union islamischer Gerichtshöfe“, die sie Ende Dezember aus der Regierung gejagt hatten. Doch längst haben sich zu den islamistischen Milizen, deren genaue Zahl unklar ist, Kämpfer des Hawiye-Clans gesellt, dem die Mehrheit der Bevölkerung in Mogadischu angehört. Die Hawiye betrachten die Äthiopier und die Übergangsregierung von Präsident Abdullahi Jusuf, der aus dem Norden des Landes stammt, als Besatzer.

„Wir werden das Massaker, das die äthiopischen Truppen an der Bevölkerung verüben, nicht hinnehmen“, gab sich Hawiye-Sprecher Achmed Direi Ali am Wochenende kämpferisch. „Was in Mogadischu derzeit stattfindet, ist ein gegen die Zivilbevölkerung gerichtetes Blutbad.“ Direi forderte die UNO und die EU auf, die äthiopischen Angriffe zu beenden. Zugleich erklärte er seine Bereitschaft zu Gesprächen über einen Waffenstillstand.

Doch die Äthiopier scheinen entschlossen, die Hawiye militärisch zu besiegen. Am Sonntag rollten Verstärkungen in Richtung Front: In Afgoye, nur 30 Kilometer von Mogadischu, sprachen Augenzeugen von einem Konvoi aus 40 äthiopischen Militärtransportern. Durch Belet Huen nahe der äthiopischen Grenze zog mindestens ein äthiopisches Bataillon, mehr als 1.200 Soldaten, mit schwerem Gerät nach Mogadischu.

Seit die Kämpfe am Donnerstag begonnen haben, setzt die äthiopische Armee Panzer und Militärhubschrauber ein. Die Gegenseite kämpft vor allem mit Kalaschnikows und sogenannten Technicals, Pritschenwagen, auf denen Raketenwerfer montiert sind.

Zehntausende Bewohner Mogadischus flohen am Wochenende aus der Stadt. Die einzige als vergleichsweise sicher geltende Straße ins Umland war so verstopft von Autos, Handkarren und Menschen, dass die Reise vom Zentrum bis zum Stadtrand – rund 30 Kilometer – vier Stunden dauerte, so ein Augenzeuge. Die Zahl der Flüchtlinge in den ärmlichen Behelfslagern – von der UNO am Freitag auf 57.000 geschätzt – stieg praktisch minütlich.

Die etwa 400 Verletzten, die es in die Krankenhäuser schafften, konnten kaum behandelt werden. „Wir haben nur die Hälfte unserer Chirurgen hier, und die operieren seit drei Tagen ohne Pause“, sagte der Direktor des Medina-Hospitals, Sheikhdon Salad Elmi, am Sonntag.

Trotz der ernsten Lage verteidigte der für Somalia zuständige US-Botschafter in Kenia, Michael Ranneberger, die Gefechte als Teil des globalen „Antiterrorkampfs“. Schließlich seien die Islamisten, die die äthiopischen Truppen in Mogadischu bekämpften, Verbündete des Al-Qaida-Netzwerks.

Doch Georgette Gagnon von der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) malt ein anderes Bild vom „Antiterrorkampf“. Ihr zufolge haben kenianische Sicherheitskräfte seit Dezember Flüchtlinge an der somalisch-kenianischen Grenze abgefangen und sie zu Verhören durch US-Geheimdienste nach Nairobi geflogen. Von dort seien die Flüchtlinge nach Somalia zurückgeflogen und von dort in äthiopische Sammellager verschleppt worden. „Niemand weiß, wo die Deportierten heute stecken.“ Mindestens 85 solcher Fälle hat HRW dokumentiert.

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