Hartes Leben im Paradies

Klaus Scherer zeigt in „Von Sibirien nach Japan“ (Freitag, 19 Uhr, ARD) Porträts vor aufregender Naturkulisse

Fein säuberlich zerlegt der alte Fischer Nikita einen kapitalen Lachs nach dem anderen. Seine Enkelinnen schauen ihm fasziniert zu: „Dürfen wir das Herzchen haben?“ Wenig später hält die Ältere der beiden das Fischherz behutsam wie einen Schatz in ihren Händen. Trostlose Idylle am anderen Ende der Erde. In der sibirischen Küstenstadt Kovran, die nur per Hubschrauber mit der Außenwelt verbunden ist, arbeiten viele für illegale Kaviar-Händler. Wodka ist nach Lachs die häufigste Mahlzeit.

ARD-Reporter Klaus Scherer hat sich für seine Dokumentation „Von Sibirien nach Japan“ (zweiter Teil am Ostermontag, ebenfalls um 19 Uhr) ein – wie im Untertitel großspurig angekündigt – vergessenes Paradies ausgesucht: Acht Wochen lang reiste der 45-jährige Grimme-Preisträger mit seinem Team von Kamtschatka in Sibirien über die Kurileninseln bis zu Japans Nordinsel Hokkaido. „Das ist keine Reise zum Nachmachen“, erzählte er unaufgeregt beim Pressegespräch – ohne natürlich Zweifel an seiner Intention aufkommen zu lassen: „Ich will Ecken dieser Erde bereisen, wie es vor mir noch keiner gemacht hat.“

Nach „Auf der Datumsgrenze durch die Südsee“ (2005) und „Auf dem Polarkreis unterwegs“ (2006) legte der langjährige Asien-Korrespondent für seinen aktuellen Film im vergangenen Sommer und Herbst 4.000 Kilometer zurück. Die aufwändig fotografierten Eingangsszenen lassen einen Naturfilm der großen Bilder erwarten: grüne Hochtäler, gewaltige Rentierherden und Bären, denen die Lachse quasi ins Maul schwimmen. Tatsächlich folgen faszinierende Einblicke in die aktivste Vulkanlandschaft der Welt mit einem Naturschauspiel von Eis und heißer Asche sowie Aufnahmen von nebelverhangenen Inselketten. Im Mittelpunkt stehen jedoch die Menschen: die Kinder in einem Waisenhaus mit zwei Bären als Haustieren, der letzte Häuptling der japanischen Ainu-Indianer, die Ewenen-Nomaden mit ihren Rentieren, der ehemalige Beichtvater der russischen Atom-U-Boot-Flotte oder die Schwangeren von Schikotan – der Insel mit der prozentual höchsten Geburtenrate von ganz Russland.

In den zweimal 60 Minuten werden auch die dunklen Kapitel entlang der landschaftlich so aufregenden Route angesprochen: um die Inselkette der Kurilen tobt noch immer Kalter Krieg zwischen Russland und Japan. Während des Drehs erschießen russische Grenzschützer einen japanischen Krabbenfischer. In Kamtschatka wiederum machte der Geheimdienst dem ARD-Team das Leben schwer. Richtig an die Substanz ging Scherer ein Taifun auf offener See: „Ich hatte noch nie so ein mulmiges Gefühl. Wir fühlten uns wie im toten Winkel der Welt.“

Die Naturgewalten sollten noch ein zweites Mal zuschlagen: Bei einem Fehltritt in ein Schlammloch am Vulkan holte sich Scherer so schlimme Verbrennungen am rechten Fuß, dass ein Stück Haut transplantiert werden musste. Obwohl mittlerweile genesen, ist vorerst Schluss mit aufwändigen Reportagen: Im Sommer übernimmt Scherer als Nachfolger von Tom Buhrow die ARD-Korrespondentenstelle in Washington.

Die Reise im Internet: http://www.vonsibiriennachjapan.de.

MARTIN LANGEDER