Geduckte Sprungschanze am Fjord

Besucher sollen auf dem Marmordach spazieren: Das neue Osloer Opernhaus besteht aus edlem Material und will trotzdem Haus für alle sein

Sie ist ein Amphibium im besten Sinne: Halb an Land, halb im Wasser wird die neue Osloer Oper stehen. Wie eine Kopie der Ski-Sprungschanze auf dem nahen Holmenkollen wirkt das Gebäude, dessen Dach erlesenes Material ziert: Italienischen Carrara Marmor hat man gewählt – den Stoff, aus dem auch die Finlandia-Halle in Helsinki gemacht ist und der in Oslo nicht nur der Elite dienen soll. Denn auf dem Dach, das direkt ins Wasser führt, sollen die Besucher spazieren gehen. Ein Angebot, das der in Norwegen populären Idee von der Zugänglichkeit öffentlichen Raums für alle entspricht. Ein Geländer zum Wasser hin wird es übrigens nicht geben. Wer in den Fjord fällt, muss eben schwimmen – und da kommt noch lange Flachwasser auf Opernhaus-Grund, bevor es gefährlich wird.

Gefährlich soll es überhaupt nicht werden. Eher verträumt: „Wer herkommt, soll in eine andere Welt versetzt werden. In ein Märchen. In den mentalen Zustand, in dem man bereit ist, auf der Bühne Neues zu erleben“, sagt Simon Ewings vom Architekturbüro Snøhetta, das den Bau entwarf. Der ist klar gegliedert: Mit Marmor sind die repräsentativen Areale – Eingang und Foyer – bestückt. Die andere Gebäudehälfte wird mit Aluminiumplatten verkleidet. „Dies sind die Räume, in denen gearbeitet wird – Bühne, Probenräume, Werkstätten – die Kunstfabrik sozusagen. Und die erfordert ein pragmatisches Material“, sagt Ewings.

Warum aber ein weißer Monolith in einer Stadt des langen Winters? Ein Zugeständnis an die skandinavische Mentalität? „Ich weiß nicht, ob man die so klar orten kann“ ,sagt Ewing. „Aber da die Oper nicht nur Oslo repräsentiert, sondern auch nationales Symbol sein soll, wollten wir nicht mit den dunklen, vertikalen Gebäuden der Umgebung konkurrieren.“ Da bot sich ein geducktes Gebäude an. Und ein minimalistisches mit einem Hauch Purismus. „Wir haben uns auf wenige Materialien beschränkt – Glas mit Fjordblick im Foyer, außerdem Granit und Holz. „Wir wollten die Materialien so wenig wie möglich mischen.“

Das ist gelungen. Bleibt die Frage, wie man Publikum in das Haus locken will, dessen für April 2008 geplante Eröffnungsoper der moderat moderne norwegische Komponist Gisle Kverndokk schreiben wird. Denn der große Saal fasst 1.350 Plätze, eine zweiter 400. „Wir werden doppelt so viele Vorstellungen bieten und doppelt so viel Publikum brauchen wie jetzt“, räumt Opernintendant Bjørn Simensen ein. Auch wird er um ein Drittel mehr Subventionen benötigen. Ob er die bekommt, weiß er noch nicht. Doch er ist sicher, dass die Architektur Besucher generieren wird, „und wenn wir gute Qualität bieten, kommen die wieder“.

„Gut“ – das ist in seinen Augen einerseits der bislang praktizierte 90-prozentige Anteil traditionellen Repertoires. „Gut“ bedeutet für Simensen aber auch, so viele Opern wie möglich auf Norwegisch zu singen. „Weil Sänger sich in ihrer eigenen Sprache besser ausdrücken können“, findet Simensen. „Und weil sich die Zuhörer so stärker eingebunden fühlen.“

Ob das aber reichen wird, um die Zuschauerzahlen zu generieren, die sich auch die Politiker von ihm wünschen? Er glaubt es fest. Außerdem läuft sein Vertrag Ende 2008 aus. Und was danach kommt, ist dann nicht mehr sein Problem. PS