Elterngeld zwingt zum Fortschritt

In Baden-Württemberg hat sich die Anzahl der Väter, die Erziehungszeit nehmen, verdreifacht. Denn Gutverdiener profitieren. Im Norden bleibt Wickeln Frauensache

BERLIN taz ■ Baden-Württembergs Männer sind fortschrittlicher als gedacht. Überraschend viele nehmen das neue Elterngeld in Anspruch. Rund 15 Prozent der bisher 9.565 Anträge auf Elterngeld gehen auf das Konto von Vätern, wie das baden-württembergische Sozialministerium bestätigte. Auch im konservativ geltenden Bayern wollen mehr als 13 Prozent der Männer mindestens zwei Vätermonate in Anspruch nehmen. Zuvor waren bundesweit rund 5 Prozent der Väter in Elternzeit gegangen. Die Zielvorgabe des Bundesfamilienministerium liegt langfristig bei 27 Prozent.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir im ersten Jahr schon über 10 Prozent kommen würden“, sagt Markus Warnke vom Familienbund der Katholiken. „In den vermeintlich konservativen Bundesländern gibt es eine sehr ausgeprägte partnerschaftliche Beziehung, da wird auch die Familien- und Erziehungsarbeit aufgeteilt“, mutmaßt er.

Werner Lachenmeier vom Münchner Staatsinstitut für Frühpädagogik sieht dagegen nicht allein die fortschrittliche Haltung süddeutscher Männer als Grund für die rege Nachfrage: „Für Gutverdiener ist das Elterngeld attraktiver. Je mehr sie verdienen, desto mehr kriegen sie bis zum Höchstbetrag von 1.800 Euro pro Monat heraus.“ In der Regel ersetzt des Elterngeld zwölf Monate lang zwei Drittel des Nettoeinkommens, zwei weitere „Vätermonate“ werden bewilligt, wenn auch der Partner für die Kinderbetreuung aussetzt. Geringverdiener und Arbeitslose dagegen bekommen mit der Neuregelung weniger als zuvor: „Über 150.000 Familien werden durch das Elterngeld schlechter gestellt“, meint Warnke vom Familienbund.

Der väterliche Erziehungseinsatz ist kein bundesweiter Trend. In Bundesländern mit höherem Verdienst und niedrigerer Arbeitslosenquote sei auch der Anreiz auf Vätermonate größer, sagt Lachenmeier. In Bundesländern mit hoher Arbeitslosigkeit halten sich die Väter dagegen zurück. In Mecklenburg-Vorpommern etwa wollen nur 103 Paare das Elterngeld gemeinsam in Anspruch nehmen. Bei insgesamt 2.014 Anträgen entspricht das ungefähr fünf Prozent. „Wir gehen aber davon aus, dass sich die Auswirkungen der Neuregelung erst später zeigen werden“, sagt eine Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Wer jetzt Elterngeld beantrage, hätte sein Kind ja noch gezeugt, als das Elterngeldgesetz noch gar nicht verabschiedet war.

Doch auch die optimistisch stimmenden Zahlen in Baden-Württemberg müssen noch genau analysiert werden. „Interessant ist, ob die meisten Väter nur zwei Monate zu Hause bleiben, damit sie das zusätzliche Elterngeld bekommen, oder ob sie auch bereit sind, sich länger um die Kinder zu kümmern“, sagte Sabine Mundolf von der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen. Auch sagen die Anträge nichts darüber aus, wie viele Väter tatsächlich komplett aussetzen. Wer bis zu 30 Stunden Teilzeit arbeitet, hat ebenfalls Anspruch auf Elterngeld.

Mehr Geld allein werde aber keinen Babyboom auslösen, ist sich Mundolf sicher: „Der Arbeitsplatz ist vielen Männern auf lange Sicht einfach wichtiger.“ Wenn Arbeitgeber kein Verständnis zeigten, würden sich viele Männer sehr genau überlegen, ob sie trotzdem ein paar Monate zu Hause bleiben. Auch einen Anstieg der Geburtenrate wird das Elterngeld allein wohl nicht bewirken. „Dazu brauchen wir einen guten Mix aus Zeitmanagement-Perspektiven und familien- und bedarfsgerecht orientierten Infrastrukturmaßnahmen,“ meint Warnke.

Das Bundesfamilienministerium will zum Elterngeld erst Stellung nehmen, wenn das Statistische Bundesamt Anfang Mai offizielle Zahlen vorlegt.

MARTIN MÜLLER