Gagarin, Gagarin, bitte kommen!

KOSMOS Eine Ausstellung in Wien zeigt, wie die Kunst vom Weltraum träumt. Mit 50 Künstlern startet die Schau ins All und landet sehr irdisch in der Nostalgiezone

All die Gräser, Städte und Bach-Kantaten: Produkt eines astronomischen Zufalls

VON ROBERT SCHIMKE

Food was good, and so was morale“, sagt ein entspannter Pete Conrad im Nasa-Film „Skylab. The first 40 days“. Das Essen war gut und die Moral auch. Conrad, Amerikaner Nummer drei auf dem Mond, berichtet, wie er 1973 bei einem waghalsigen Außeneinsatz im All von Hand einen Solarflügel an der Raumstation Skylab ausklappt, nachdem dort der Strom ausgefallen war. Der Astronaut rettet so die Mission und avanciert zum Helden. Aber auch mit dem Solarpaneel geschieht etwas; das golden glänzende, modische Segel im Kosmos wird zu einer visuellen Vorwegnahme der Disco-Ära. Die amerikanische Künstlerin Jen Liu hat den Film zu einer Posse umgearbeitet, in deren Verlauf Conrad und Kollegen in Weltraummüll ersticken: Helden, so muss man das lesen, sind out. Und Ironie ist immer noch in, weil sie heute genauso retro ist wie der Traum von kleinen Jungs, die Raumfahrer werden wollen.

Der hangarförmige Raum in der Kunsthalle Wien, in dem die Ausstellung „Weltraum. Die Kunst und ein Traum“ mit Arbeiten von mehr als 50 Künstlern aufgebaut ist, wäre der perfekte Ort gewesen, um das Solarpaneel zu zeigen. Was aber nicht geht: 1979 stürzte die Skylab samt Sonnensegel über Australien ab. Die Menschheit hatte sich inzwischen einer neueren, diesseitigeren Vergnügung zugewandt: Sie tanzte. Als die Raumstation in der Atmosphäre verglühte, lief Chics Disco-Hit „Good Times“ seit ein paar Wochen in den Charts rauf und runter.

Nostalgie ist der Grundton der Schau, die zeitlich mit dem 50. Jahrestag von Juri Gagarins Weltraumflug zusammenfällt. Der erste Mensch im All: ein kosmischer Heiliger, dessen Ikono- und Hagiografie einerseits wie aus einer fernen Vergangenheit zu uns spricht und andererseits doch den Takt vorgibt für die Art, wie wir die Raumfahrt bis heute wahrnehmen: durch die Brille rückblickender mythischer Verklärung. Dass die Gagarin-Verehrung nicht zu kurz kommt, dafür sorgt Walter Famler, Verleger der Literaturzeitschrift Wespennest und Kommandant der Bewegung Kosmos. Er zeigt Teile seines Juri-Gagarin-Archivs, Wimpel, Fotos und andere Devotionalien, aber auch ein Bild des sowjetischen Weltraummalers Andrej Sokolow, dessen Malerei man als Gegenentwurf zu den Schinken von Wladimir Dubossarsky und Alexander Winogradow verstehen muss, die um die Ecke vom Gagarin-Gedächtnis-Kabinett hängen.

Sokolow als aufrichtiger, technikgläubiger Utopist, Dubossarsky und Winogradow als brave Meister des Kitsches: Das Künstlerduo malt blühende Tulpen auf dem Mond und eine Barbie im Weltraumhelm. Und die Russin Lena Lapschina inszeniert Gagarin in ihrer Installation als angestaubtes, mit sowjetischer Patina überzogenes Kasernenhofwesen und lässt eine überdrehte Heliumstimme mit dem Akzent von Krtek, dem kleinen tschechischen Maulwurf, rufen: „Gagarin, Gagarin, this is space station. Bitte kommen.“ Wenn unsere heutige Gesellschaft nicht utopiefähig ist, warum sollte es dann die Ausstellung sein?

Die Schau in der Wiener Kunsthalle sagt „Weltall“ und meint doch über weite Strecken nur die Sechziger- und Siebzigerjahre. Deren Imaginarium nutzen auch die jüngsten Space Artists von Pawel Althamer über Björn Dahlem bis Virginie Yassef. Letztere schickt ein quallenförmiges Ufo in den Wiener Weltraum, das mit blinkenden Glühlampen und einer Collage aus Weltraumfilm-Soundtracks mit uns Menschen kommuniziert: der Kosmos als Klangarchiv und als Reise durch die Geschichte des Synthesizers. Es ist dieser Mischmasch aus Pop, Ironie und Kitsch, der die Ausstellung amüsant und unterhaltsam macht, die Konstruktion der Weltraummythen aber unangetastet lässt. Erkenntnisgewinne ergeben sich erst im historischen Vergleich.

Es ist dieser Mischmasch aus Pop, Ironie und Kitsch, der die Ausstellung unterhaltsam macht

Von Orson Welles’ Marsianer-Attacke „Krieg der Welten“ bis zum traurigen ET, der nach Hause telefonieren will, findet eine Geschichte der Domestizierung des Alls statt. Hat die Empathie gegenüber dem Fremden zugenommen, oder wurde das All einfach nur verniedlicht? Eine mögliche Antwort gibt Sylvie Fleurys poppiges „First Spaceship on Venus“, ein plüschiger, ödipaler Raumflugkörper, der im benachbarten Naturhistorischen Museum zu sehen ist. Dort, wo Fleurys flauschige Rakete steht, hat Impakt-Forscher Christian Köberl erschreckend plastisch darüber nachgedacht, was passieren würde, schlüge ein 50 Meter großer Meteorit in der Wiener Innenstadt ein: eine Million Tote, der Stephansdom weg, das schnieke Museumsquartier sowieso.

Die Apokalypse ist eine der wenigen Ausbrecher aus der Nostalgiezone der Ausstellung. Allein Mark Shuttleworth, der erste – weiße – Afrikaner im Weltall und Astrotourist mit einwöchigem Forschungsaufenthalt auf der Raumstation ISS, gibt in einem Film von Jyoti Mistry eine Ahnung von den epistemologischen Auswirkungen, die erst die Raumfahrt ermöglicht hat, weil die Erdbewohner ihre Behausung auf einmal von außen sehen konnten. Die Atmosphäre: ein verletzbares Häutchen. All die Gräser, Städte und Bach-Kantaten unter ihr: Produkt eines astronomischen Zufalls.

Die Ausstellung ist sehenswert, wenn man sich auf einen gemeinsamen Nenner von seligem Angedenken an das goldene Raumfahrtzeitalter und westlicher Hegemonie in der kosmischen Legendenbildung verständigt. Von den prosaischen naturwissenschaftlichen Träumen, derentwegen Menschen heute ins All fliegen, ist in der Ausstellung genauso wenig zu sehen wie von Taikonauten oder Gagarins sowjetisch-russischen Nachfahren. Eine Pressemitteilung gab den ersten Mann im Weltall gar als Astronauten statt als Kosmonauten aus. Ein exemplarischer Patzer: Das All in Wien sieht aus, als würde man anno 1966 ins All schauen – durch ein Fenster der „Enterprise“.

■ Bis 15. August, Kunsthalle Wien