„Demokratie ist nicht heilig“

Er ist für Amerika, war aber gegen den Irakkrieg. Ein Gespräch mit dem französischen Intellektuellen Bernard-Henry Lévy über sein neues Buch „American Vertigo“, die moralische Hybris der Neokonservativen und den Kampf gegen den Islamismus

BERNARD-HENRY LÉVY ist der Popstar unter Frankreichs Intellektuellen. Bei seinen Kritikern ist Lévy – nach seinen Initialen als BHL bekannt – als unseriös verschrien, da er sich zu jeder erdenklichen politischen Frage äußert. Auch über seine Eitelkeit wird sich oft mokiert, sein Markenzeichen ist das bis zur Brust aufgeknöpfte, weiße Hemd. Gleichwohl hat seine Stimme in Frankreich Gewicht. Für sein jüngstes Buch „American Vertigo“ (Campus Verlag 2007, 383 Seiten, 24,90 Euro), das jetzt auf Deutsch vorliegt, ist Levy durch die USA gereist und hat dort, noch während des vergangenen Präsidentschaftswahlkampfs, prominente Persönlichkeiten wie Barack Obama und Hillary Clinton getroffen sowie neokonservative Vordenker wie Richard Perle und William Kristol. In den USA erhielt „American Vertigo“ allerdings vernichtende Kritiken. Sein deutscher Verlag wirbt damit, es sei dort das „bestgehasste Buch“. BAX

INTERVIEW STEFAN REINECKE
UND DANIEL BAX

taz: Herr Lévy, Ihr neues Buch „American Vertigo“ wollen Sie als eine Antwort auf den Antiamerikanismus in Europa verstanden wissen. Wo sehen Sie denn diesen Antiamerikanismus?

Bernard-Henry Lévy: In Frankreich und in Deutschland zum Beispiel. Bei den Demonstrationen gegen den Irakkrieg wurden in Berlin und Paris Plakate hochgehalten, auf denen stand: Bush ist der wahre Terrorist. Das ist für mich Antiamerikanismus.

Zeugt das nicht vor allem vom Unbehagen an der Bush-Regierung?

Es ist schwierig, Bush mehr zu verabscheuen, als ich das tue. Aber zu sagen, Bush und Bin Laden wären zwei Seiten derselben Medaille – das ist absurd, dumm und verbrecherisch. Wer das tut, muss von einer sehr starken Leidenschaft angetrieben sein.

War der Irakkrieg nicht ein riesiges Desaster?

Natürlich. Aber man muss auch festhalten: die Terroristen im Irak sind nicht die Amerikaner. Es sind sunnitische Extremisten, die Schiiten in ihren Moscheen umbringen. Und es sind Schiiten, die Sunniten auf der Straße umbringen und Selbstmordattentate begehen. Wenn ich Iraker wäre, dann würde ich darum beten, dass die Amerikaner das Land nicht verlassen.

Viele Iraker sehen das inzwischen ja anders. In Ihrem Buch betonen Sie den idealistischen Aspekt der neokonservativen Ideologie: Immerhin habe der Irakkrieg eine brutale Diktatur beseitigt. Aber trägt die amerikanische Außenpolitik nicht auch starke imperiale Züge?

Ich halte den Irakkrieg nicht für ein imperiales Projekt. Wäre es den Amerikanern nur ums Öl gegangen, dann hätten sie einen Deal mit Saddam Hussein machen können. Ich denke, es war ein dummer Krieg, der von moralischen Zielen geleitet war. Es stand wirklich der idealistische Gedanke dahinter, die Vorzüge der Demokratie in diesem Teil der Welt zu verbreiten.

Was war dann der Fehler?

Zu versuchen, den Krieg auf diese Art zu führen. Keine Alliierten zu haben. Sich nicht auf den Tag danach vorzubereiten. Diese Fehler haben alle etwas damit zu tun, wie sich Amerika selbst organisiert. Die Neokonservativen glauben: je weniger politische Eingriffe, desto besser. Zu Hause glauben Sie, dass der Staat sich nicht um Armut und soziale Sicherung kümmern sollte! Und im Irak dachten sie, man müsse nur Saddam Hussein rausschmeißen und die Demokratie würde sich von selbst einstellen. Es ist der gleiche Denkfehler. Den Neokonservativen wird ja oft vorgeworfen, sie seien unmoralisch und zynisch. Ich würde das Gegenteil behaupten: zu viel Moral, zu wenig Politik.

Sie haben auf Ihrer USA-Reise einige neokonservative Vordenker getroffen. Glauben Sie, dass sie noch eine politische Zukunft haben?

Ich glaube, dass ihre Zeit vorüber ist. Richard Perle und William Kristol sind mir persönlich aber ziemlich egal. Meine Befürchtung ist vielmehr, dass nun das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird – das, was wir das „Recht auf Einmischung“ nennen. Der noble Gedanke, die Demokratie weltweit zu verbreiten. Ich habe Angst, dass er mit ihnen verschwinden wird.

Sie haben ein Manifest unterschrieben, das den Islamismus als „totalitäre Herausforderung unserer Zeit“ beschreibt. Halten Sie „Islamofaschismus“ für einen brauchbaren Begriff?

Ich bin davon überzeugt, dass der radikale Islamismus eine Form des Faschismus ist – jener, der Frauen verbrennt, die sich nicht an das Gesetz der Scharia halten, und der Juden und Kreuzfahrern den Krieg erklärt. Das ist ein Faschismus. Nicht nur, weil er tötet. Sondern auch, weil er – wie Paul Berman, Ian Buruma und andere gezeigt haben – einige seiner ideologischen Wurzeln im europäischen Faschismus hat.

Was wäre nach dem 11. 9. Ihrer Meinung nach die richtige Antwort auf diese Herausforderung gewesen?

Natürlich war der Irakkrieg ein großer Fehler. Als er begann, kam ich gerade aus Pakistan zurück, und mir war völlig klar, dass das Problem dort viel größer war. Und Pakistan war ein Alliierter der USA!

Was hätte in Pakistan passieren sollen?

Man hätte Musharraf viel stärker in den Würgegriff nehmen müssen. Amerika hätte sich nicht so sehr durch die pakistanischen Geheimdienste an der Nase herumführen lassen dürfen, wie es leider passiert ist. Und man müsste die Demokraten und die Aufklärer innerhalb des Islam stärker ermuntern.

Einerseits Demokratie verbreiten, andererseits den Islamismus bekämpfen – das sind zwei Ziele, die sich nur schwer vereinbaren lassen. Wenn es freie Wahlen gäbe, würden islamistische Parteien wohl davon profitieren – nicht nur in Pakistan, sondern auch in vielen anderen Ländern.

Das stimmt. Deshalb bin ich auch kein Neokonservativer. Ich denke, der erste Schritt müsste sein, die demokratische Opposition und die Zivilgesellschaft zu fördern. Demokratie sollte erst der zweite Schritt sein, denn sie ist ein langwieriger Prozess.

Und wie, meinen Sie, sollte man mit Islamisten umgehen, die in demokratischen Wahlen bestehen? So wie die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon?

Die Ergebnisse der Demokratie sind nicht heilig. Die Demokratie kann auch fatale Resultate zeitigen. Der Demos, das Volk, kann sehr schlechte Entscheidungen treffen. Und dann müssen wir es ihm sagen.

Halten Sie den Boykott der Hamas-Regierung durch die EU für richtig? Die Palästinenser dafür zu bestrafen, dass sie die falsche Partei gewählt haben?

Absolut, ja. Ja, ich denke, es ist unsere Aufgabe, dem palästinensischen Volk zu sagen: Das Votum für die Hamas ist politischer Selbstmord. Natürlich hat jeder das Recht, Selbstmord zu begehen. Wenn Sie mein Freund wären und Selbstmord begehen wollten, dann würde ich Ihnen sagen: Das ist ein Fehler! Aber ich könnte Sie nicht daran hindern.

Es gibt ja viele terroristische Bewegungen, die sich zu staatstragenden Parteien gewandelt haben. Könnte man die Hamas in Regierungsverantwortung nicht besser in zivile Prozesse einbinden?

Es gibt aber auch terroristische Bewegungen, die nicht moderater geworden sind, nachdem sie einmal die Macht erlangt hatten. Die NSDAP in Deutschland war eine davon. Es gab in den Zwanzigerjahren sicher eine Menge Leute, die glaubten, dass sie sich an der Regierung mäßigen würde. Und was ist passiert? Wie können Sie als Deutsche so sicher sein, dass es besser läuft – mit diesem Vorbild?

Wir würden die Hamas nicht mit den Nazis vergleichen. Nehmen Sie lieber die Türkei: Dort stellt heute eine islamistische Partei die Regierung, und sie ist proeuropäisch und demokratisch.

Da bin ich völlig anderer Meinung. Ich denke, dass die Türkei heute weiter von Europa entfernt ist als vor zehn Jahren.

Wie kommen Sie darauf?

Nehmen Sie die Verbreitung von antisemitischer Literatur. Die Unterdrückung freier Intellektueller. Und die Leugnung des Genozids an den Armeniern. Für mich ist das eine der Schlüsselfragen, wenn es um die Aufnahme in die EU geht.

Es sind weniger die Islamisten in der Türkei, die den Genozid leugnen, als die säkularen Nationalisten.

Ja, aber die Islamisten tragen ihren eigenen Teil zu dem nationalistischen Trend bei. Ich bin ab und zu in der Türkei. Mein Gefühl ist, dass das Thema heute brisanter ist als früher.

Sie waren im vergangenen Jahr auf der Höhe des Libanonkriegs zu Besuch in Israel und haben die Lage dort in einem Zeitungsartikel mit jener der republikanischen Truppen im Spanischen Bürgerkrieg verglichen. Steht es wirklich so schlimm um Israel?

Ja, das denke ich. Lange Zeit habe ich, wie viele Liberale, geglaubt, dass die palästinensischen Organisationen zwar gegen Israel seien und schlimme Terrorakte verübten, aber doch zumindest ein klares politisches Ziel hätten. Doch jetzt hat sich Israel aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen und ist nicht länger im Libanon. Was also ist das Ziel der Hisbollah oder der Hamas in Gaza? Es geht ihnen nur noch um reinen, nackten Hass – und das ist erschreckend. Darüber hinaus gibt es derzeit einen Staat, der sehr mächtig ist und dessen erklärtes Programm es ist, Israel zu zerstören und sich die entsprechenden Waffen zuzulegen. Es gibt keine Möglichkeit, auf diese Bedrohung angemessen zu reagieren. Aus diesen Gründen mache ich mir Sorgen.

Wie kommen Sie darauf, dass Hisbollah und Hamas keine Ziele hätten? Die Entführung der israelischen Soldaten, die am Anfang des Libanonkriegs stand, geschah doch aus einem erklärten Grund: um libanesische Gefangene aus israelischer Haft freizupressen. Ist das kein politisches Ziel?

Sie müssen die Literatur der Hisbollah lesen. Es geht ihnen nicht nur um paar Quadratkilometer der Schebaa-Farmen, die der Libanon für sich beansprucht. Sie glauben, dass Israel ein Krebsgeschwür ist: eine kranke Zelle im gesunden Körper der arabischen Welt. Sie glauben an einen „heiligen Krieg“ gegen Israel. Nasrallah nimmt da kein Blatt vor den Mund.

Die Hamas ist in den Achtzigerjahren unter israelischer Besatzung in den Palästinensergebieten entstanden, die Hisbollah etwa zur gleichen Zeit nach dem israelischen Einmarsch im Libanon. Sehen Sie da keinen Zusammenhang?

Glauben Sie, dass die Taliban nur ein Produkt der sowjetischen Besatzung waren? Und die Frucht welcher Besatzung sind die Muslimbrüder in Ägypten?

Unter anderem das Produkt eines repressiven Regimes …

Ja, das kann man so sehen. Aber nehmen Sie Pakistan – das war niemals von irgendwem besetzt, und auch dort gibt es eine starke dschihadistische Bewegung. Und nicht nur in Pakistan: In Malaysia, Indonesien und vielen anderen Ländern im muslimischen Asien gibt es islamistische Bewegungen. Wenn Sie mit einem Islamisten dort reden: Für die existiert Israel nicht. Deren Palästina heißt Kaschmir.

Die soziale Verzweiflung und der allgemeine Frust mögen den Islamismus befördern. Aber er speist sich aus eigenen Quellen, die nichts mit Israel zu tun haben. Ich bin überzeugt: Wenn es Israel nicht gäbe, würde es in Pakistan immer noch genauso viele Dschihadisten geben wie jetzt!

Das mag so sein. Aber war der Libanonkrieg Ihrer Meinung nach richtig?

Er war richtig, aber er war ein Misserfolg. Israel konnte es nicht vermeiden, eine Botschaft der Stärke an die Adresse der Hisbollah zu senden. Er war schlecht geplant und ausgeführt. Ich denke, ein besserer Premierminister als Olmert wäre bedächtiger an die Sache herangegangen.