EU baggert Latinos an

GLOBALISIERUNG EU und Mercosur-Staaten verhandeln wieder über eine gegenseitige Marktöffnung. Agrarlobby ist schon in Stellung

Bioethanol, Mais, Weizen und Rindfleisch aus Lateinamerika kämen leichter in die EU

VON NICOLA LIEBERT

BERLIN taz | Die EU will das lang angestrebte Freihandelsabkommen mit dem Gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur) möglichst bald unter Dach und Fach bringen. Bis Freitag tagten Unterhändler in Paraguays Hauptstadt Asunción mit dem Ziel, die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen. Zum Mercosur gehören neben Paraguay noch Argentinien, Brasilien und Uruguay; Venezuelas Beitritt wurde noch nicht ratifiziert. Europa habe ein dringendes „Interesse daran, diese historische Chance zu nutzen, die sich zum zweiten und vielleicht auch letzten Mal bietet“, sagte der Leiter der EU-Delegation in Argentinien, Alfonso Díez Torres.

Schon 2004 schien die Unterzeichnung des Abkommens unmittelbar bevorzustehen. Doch dann wurde der Widerstand auf beiden Seiten zu groß: In Europa sperrten sich vor allem Staaten mit einer starken Agrarlobby wie Frankreich und Irland gegen den erweiterten Marktzugang von Agrarerzeugnissen wie Bioethanol, Mais, Weizen und Rindfleisch aus den Mercosur-Staaten. Umgekehrt erschienen den südamerikanischen Bauern, die in Amerika Hauptprofiteure eines solchen Abkommens wären, die von der EU angebotenen Exportkontingente zu niedrig. Zugleich liefen die Industrieverbände gegen den Abbau von Einfuhrzöllen für Industrieprodukte aus der EU Sturm. Weitere kritische Punkte des Abkommens, die sich mit dem Schutz von Investitionen und geistigen Eigentums sowie der Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts befassen, gingen da eher unter.

Im vergangenen Jahr wurden die Verhandlungen wieder fortgesetzt. Doch auch jetzt bringen sich die europäischen Agrarlobbyisten wieder in Stellung – und wissen die Regierungen mehrerer EU-Staaten hinter sich, darunter Frankreich. Der Präsident des europäischen Bauern- und Genossenschaftsverbandes (Copa-Cogeca) und des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, verwies auf eine Studie des Verbandes, wonach den europäischen Landwirten auf der Grundlage der Forderungen der Mercosur-Länder Verluste in Höhe von bis zu 13 Milliarden Euro pro Jahr entstehen würden.

Die EU-Kommission selbst kam nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters in einer eigenen Untersuchung auf Mindereinnahmen von jährlich 3 Milliarden Euro und den Verlust von bis zu 33.000 Arbeitsplätzen. „Wird der EU-Rindfleischsektor geopfert?“, fürchtet zum Beispiel die Zeitschrift Top Agrar. Die Verluste – neben Fleisch geht es vor allem um Zucker, Mais und Fruchtsaft – dürften aber, so die Hoffnung der Kommission, mehr als wettgemacht werden durch die zusätzlichen Absatzmöglichkeiten für verarbeitete Produkte und Dienstleistungen aus der EU in Südamerika. Die Kommission für Handel geht davon aus, dass beide Regionen durch das Abkommen unterm Strich 4,5 Milliarden Euro pro Jahr gewinnen könnten.

Im vergangenen Jahr hatte die EU bereits mit Peru und Kolumbien ein Freihandelsabkommen unterzeichnet, das aber noch nicht ratifiziert ist. Zivilgesellschaftliche Gruppen befürchten unter anderem die Verletzung der Landrechte indigener Völker durch den vermehrten Anbau von Biotreibstoffen und den Zusammenbruch heimischer Industrien. Peru und Kolumbien haben vergangene Woche ihrerseits mit Chile und Mexiko – allesamt Länder mit einer ausgesprochen liberalen Wirtschaftspolitik – ein Abkommen zur engeren wirtschaftlichen Verflechtung geschlossen.