„Libération“ und „Lotta Continua“ als Vorbild

Beide Zeitungen verstanden sich als Sprecher der militanten Arbeiter. Das Pariser Blatt wurde sozialdemokratisch, das italienische ging unter

BERLIN taz ■ Als sich 1978 in Deutschland die ersten Initiativgruppen für eine neue Tageszeitung bildeten, wurde nach Vorbildern im Ausland gesucht. Fündig wurden die taz-Gründer vor allem in Frankreich und Italien, bei der französischen Libération und der italienischen Lotta Continua. Obwohl ein gemeinsames Anliegen aller drei Zeitungen die Herstellung von „Gegenöffentlichkeit“ war und sich alle drei zunächst in gleicher Weise organisierten – kollektiv und mit Einheitslohn – wurde doch bald deutlich, dass sich sowohl die Entstehungsgeschichte der beiden anderen Zeitungen als auch ihr Werdegang deutlich von der taz unterschieden.

Die Libé, wie die Libération genannt wurde, war von Anfang an die große Schwester der taz, das Vorbild, an dem die taz sich maß. „Das Volk muss das Wort haben und es auch behalten!“ So hatte die Maxime der Zeitung gelautet, als sie 1973 von Jean-Paul Sartre und Mitstreitern aus der maoistischen Bewegung „Gauche Prolétarienne“ (Proletarische Linke) gegründet worden war.

Mit dem „Volk“ waren in erster Linie die Arbeiter gemeint, die in den Jahren zuvor militante Streiks durchgeführt hatten und, so die Hoffnung der Linken, die Systemfrage stellen würden. Die Libé sollte dabei mithelfen, als eine Zeitung, die „außerhalb des Privatkapitals, der Banken und der Werbung“ stehen würde, wie Sartre erklärte. Als die ersten taz-Inis entstanden, 1978, da gab es die Libé schon seit fünf Jahren, sie hatte bereits die ersten Krisen hinter sich und auch schon einige Träume begraben. Im „Prospekt: Tageszeitung“, in dem 1978 zum ersten Mal das Projekt der späteren taz einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde, konnte deshalb Jean-Marcel Bouguereau, der spätere Chefredakteur der Libé, schon etwas wehmütig sagen: „Viele haben anfangs an dieses illusorische Projekt einer Zeitung geglaubt, die als bloßer Vermittler das ‚authentische‘ Wort verbreitet. Doch eine solche Zeitung ist nicht möglich gewesen. Das ist die paradoxe Erfahrung dieses Abenteuers: Um eine neuartige Zeitung werden zu können, mussten wir zunächst lernen, auch eine Zeitung wie jede andere zu sein.“

Das Ziel, „auch eine Zeitung wie jede andere zu sein“, verfolgte die Libé bald recht konsequent; 1980 schied aus gesundheitlichen Gründen Sartre aus (er starb bald darauf); 1981 kamen die Sozialisten unter François Mitterrand an die Macht, und die Libé sozialdemokratisierte sich, hierarchisierte sich, es gab Werbung im Blatt.

Bis Mitte der 90er-Jahre genoss die Zeitung einen stetigen Aufschwung, als ästhetisch ansprechende, leicht lesbare linksliberale Zeitung. Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist die Libé jedoch in der Krise; im Jahr 2005 kaufte sich der Banker Édouard de Rothschild ein und entließ den Libé-Mitbegründer Serge July; wie es nun mit der Libération weitergehen wird, ist noch unklar.

Ähnlich wie die Libé verstand sich auch der zweite Hauptorientierungspunkt der taz, die italienische Tageszeitung Lotta Continua, als Sprachrohr der militanten linken Arbeiter – vor dem Hintergrund der Streikbewegungen in Norditalien zu Beginn der 70er-Jahre. Anders als die Libé entstand Lotta Continua allerdings zunächst als Zeitung der gleichnamigen politischen Gruppe, wobei diese Gruppe sich 1976 auflöste, die Zeitung hingegen bis 1982 fortbestand und zunehmend zum Sprachrohr von diskriminierten sozialen Gruppen wie Frauen, Schwulen etc. wurde.

Die Rolle der Lotta Continua als Vertreterin der Gegenöffentlichkeit übernahm nach deren Verschwinden die Tageszeitung Il Manifesto, die 1969 von Vertretern einer gleichnamigen Minderheitengruppe innerhalb der italienischen KP, dem PCI, gegründet worden war. Aufgrund ihres politischen Ursprungs stand Il Manifesto den verschiedenen bewaffneten Gruppierungen, die Ende der 70er-Jahre in Italien entstanden, wesentlich ferner als Lotta Continua, die die Auseinandersetzung um bewaffneten Kampf und Terrorismus eher aus einer ideologischen Nähe heraus geführt hatte.

Il Manifesto versteht sich als Zweitzeitung und setzt nach wie vor auf die „andere“ Berichterstattung mit starker eigener Schwerpunktsetzung. Das bezahlt sie freilich mit einer sehr geringen verkauften Auflage von 29.000 täglich. So ist es Il Manifesto zwar gelungen, zu überleben, allerdings, ähnlich wie die taz, unter schwierigen ökonomischen Bedingungen und begleitet von regelmäßigen Krisen, die sie, ebenfalls wie die taz, mithilfe ihrer Leserkampagnen meistert.

Im Juni letzten Jahres gab es wieder mal eine solche Kampagne, die sich als Referendum gerierte: Wollt Ihr, dass Manifesto erhalten bleibt?, lautete da die Frage. Wenn ja, dann zahlt! Eine Aufforderung, die taz-Lesern bekannt vorkommen dürfte. ANTJE BAUER